Urs Birchler
In ungefähr einem Jahr kommt die Vollgeld-Initiative (VGI) an die Urne. Sie zielt auf eine grundlegende Reform unserer Geldordnung. Die Argumente der Befürworter und Gegner klaffen entsprechend weit auseinander. Angesichts der polarisierten Diskussion und der teils technischen Materie haben Jean-Charles Rochet und ich versucht, einen sachlichen und auch für ein breiteres Publikum gut verständlichen Leitfaden zu schreiben. Ein paar kleinere Beiträge sind hier auf Batz.ch schon früher erschienen: 1, 2, 3, 4, 5, 6.
Hier nun also unser Beitrag:
Die Vollgeld-Initiative — ein Leitfaden für jedermann
Wir legen den Text schon als (fortgeschrittenen) Entwurf vor, damit er zeitgerecht zur Debatte im Nationalrat zur Verfügung steht (die WAK-NR tagt am 23. Oktober). Der Ständerat hat die Initiative bereits behandelt (Ablehnung ohne Gegenvorschlag).
Update 13.10.2017: Ergänzend haben wir eine Kurzversion auf englisch, die demnächst auch auf deutsch und französisch folgen soll:
Die Vollgeld-Initiative — a summary in english
Über Kommentare freuen wir uns.
Die Lösung des „Selbt-Tests“ auf Seite 4 verwirrt mich etwas. Dort schreiben Sie:
„Antworten 1B, 2D, 3E: Sie sind eher für die VGI.
Antworten 1B, 2D, 3F: Sie sind eher gegen die VGI.“
Müsste die Zuordnung nicht gerade umgekehrt sein?
Antwort 1B spricht meines Erachtens klar für eine Ablehnung zur VGI, Antwort 2D für eine Zustimmung zur VGI. Wer 3E wählt, gewichtet die erste Frage, bei der er eher gegen die VGI tendiert, stärker als die zweite Frage, bei der er eher der VGI zustimmt. Folglich sollte jemand mit der Kombination 1B, 2D, 3E die VGI tendenziell ablehnen. Demgegenüber spricht die Kombination 1B, 2D, 3F eher für eine Annahme.
Mein Verständnis ist, dass die Fragen alle gleichwertig sind. Das ausschlagende Kriterium ist ob die Betonung auf der Geldmengenkontrolle oder der Vermögensverwaltung liegt (Frage 3).
Der Text ist eine sehr brauchbare Handreichung für ökonomische Laien – vielen Dank! Bei gründlicher Lektüre sind mir zwei Dinge aufgefallen:
Im Text heisst es: „Kredite und Depositen: Huhn oder Ei?
Zuerst waren die Depositen […]
Zuerst waren die Kredite […]
Das Ergebnis ist in beiden Fällen genau dasselbe. […] Entscheidend ist, dass die Banken Depositen […] führen können, die ein Mehrfaches der Reserven der Banken bei der Zentralbank betragen. Wie es im einzelnen dazu kommt, ist nebensächlich.“
Nebensächlich mag stimmen mit Bezug auf die theoretisch maximale Geldmenge. In jeder anderen Hinsicht ist dieser Unterschied entscheidend, denn nur im zweiten Fall ist Geld wirklich endogen. Die Version 1 taugt auch kaum, um die Finanzmarktkrise zu verstehen.
Insgesamt wären eine summarische Verweisliste am Ende des Textes hilfreich gewesen. Die Gelddefinition („Geld ist letztlich immer ein leeres Versprechen, das nur durch das allgemeine Vertrauen in seine allgemeine Akzeptanz aufgrund künftigen Vertrauens gedeckt ist. […] Auch eine „volle“ Golddeckung beispielsweise beruht letztlich auf Vertrauen.“)
ist sehr gut gelungen. Doch gerade hier ist mir das Fehlen einer Referenz sehr unangenehm aufgefallen: https://www.nzz.ch/meinung/geldmenge-und-inflation-geld-steht-fuer-vertrauen-ld.141356 , http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2017/05/von-nichts-kommt-nichts–auch-nicht-geld/
Grüsse
Christian Mueller
http://www.s-e-i.ch
@ Inke Nyborg: Völlig einverstanden. Gerade deshalb finde ich jedoch, dass die Zuordnung seltsam ist. Wahrscheinlich habe ich mich unklar ausgedrückt.
Ich versuche es nochmals: 1B und 2D bedeutet, dass der Leser die Geldmengenkontrolle lieber den Geschäftsbanken überlassen möchte (contra VGI), die Verwaltung des Nationalvermögens aber lieber bei Bund und Kantonen sähe (pro VGI). 3E bedeutet, dass dem Leser die Geldmengenkontrolle durch die Geschäftsbanken wichtiger ist als die Vermögensverwaltung durch Bund und Kantone. Dies impliziert meines Erachtens, dass ein Leser mit dieser Antwortkombination die VGI eher ablehnen sollte: Ihm ist wichtiger, dass die Geldmengenkontrolle bei den Geschäftsbanken verbleibt.
Umgekehrt bedeutet 3F, dass der Leser es wichtiger findet, dass das Nationalvermögen neu von Bund und Kantonen verwaltet wird. Dass die Geldmengesteuerung bei den Geschäftsbanken verbleibt, ist ihm weniger wichtig. Damit das Nationalvermögen von Bund und Kantonen statt von der SNB verwaltet wird, müsste die VGI angenommen werden.
Danke für den, ausgezeichneten, Leitfaden!
Meine Fragen:
– Könnte man die Anliegen der Initianten, zusammenfassend, so verstehen: «Für ein staatlich, zentralistisch, gelenktes Bankwesen.»?
– Und, folglich, auch die Abstimmungsfrage an die Stimmberechtigten so formulieren: «Sind Sie für ein staatlich gelenktes Bankwesen?»
Freundliche Grüsse, VR
@Stefan Häberli
Lieber Herr Häberli
Sie haben völlig recht. Ich danke Ihnen für Ihre Beharrlichkeit.
Ich bin im Himalaya-Gebiet und kann Ihnen erst jetzt antworten.
Urs Birchler
Gesendet von IBM Verse
@Urs Birchler, @Stefan Häberli
Ja, fällt ein bisschen auf:-) Trotzdem gut:-)
Vielleicht ein Detail, aber für manche Leute wichtig bei der Beurteilung der im übrigen sehr guten Diskussionsgrundlage: Bitte eliminiert die für einen wissenschaftlichen Beitrag zu häufigen, sprachlichen, Flüchtigkeitsfehler.
MfG David Walther
Frage zum «Selbsttest», Frage 2.D: «2. Wer verwaltet das Schweizer Nationalvermögen besser? D. Der Bund und die Kantone dank ihrer direktdemokratischen Verantwortung.»
Würde es heissen, dass Bund und Kantone die Aufgaben der SNB übernehmen würden? Im weiteren, dass die SNB-/Fachleute bei Bund und Kantonen tätig wären? Oder eine private SNB-/Fachgruppe, die an Bund und Kantone ihre Leistungen verkaufen würde?
Freundliche Grüsse, VR
Vielen, vielen Dank für diesen Text! Ein wertvoller Beitrag zu einer sachlichen Diskussion. Ich bin immer noch für die Initiative, aber habe nun ein differenzierteres Bild, besonders was die Geldschöpfungsgewinne und die Krisensicherheit angeht.
@ David Walther
Danke für das genaue Durchlesen! Da es sich bei dem Beitrag noch um einen Entwurf handelt, würden solche Fehler von den Autoren für die endgültige Fassung korrigiert werden. Mit freundlichen Grüssen
Der Inke Nyborg-Link scheint auch ein Entwurf zu sein. Jedenfalls funktioniert er nicht. Wer hat den Text eigentlich verfasst?
@ Urs Abderhalden
Danke für den Hinweis, mein Link wurde nun aktualisiert. Der Text wurde von zwei Finanzprofessoren der Universität Zürich verfasst: Urs Birchler (emeritiert) und Jean-Charles Rochet. Mit freundlichen Grüssen,
Ich halte den Vorschlag vom ex-Chef der BoE, Mervin King, für eine bessere Alternative als Vollgeld: (a) alle Banken müssen sich von ihrer Notenbank eine fest verbindliche Refinanzierungslinie in Höhe aller Verbindlichkeiten innerhalb des nächstens Jahres einräumen lassen (gegen entsprechende materielle Besicherung seitens der Banken) und (b) eine maximale Leverage gemäß Bilanz (nicht gemäß risikogewichteter Aktiva!), die wesentlich höher sein muss als zur Zeit der Fall.
Folgende Ziele werden dadurch erreicht: erstens kann es zu keinem Bankrun mehr kommen und man hat ein Jahr Zeit, um eine Bank zu sanieren und/oder abzuwickeln; und zweitens sind dem Wachstum der Banken durch die maximale Leverage Grenzen gesetzt.
Ich glaube, dann könnte nicht mehr viel schiefgehen.
Die Fragen des „Selbst-Testes“ sind bereits von anderen Kommentatoren kritisch hinterfragt worden. Aus verschiedenen Gründen halte ich sie auch nicht für besonders hilfreich:
1. Auch nach Annahme der Vollgeld-Initiative würde die SNB die Geldmenge nicht im stillen Kämmerlein festlegen, sondern dies würde weiterhin in Zusammenarbeit mit den Banken geschehen, indem die SNB den Banken weiterhin Darlehen gewähren kann (und diese sich an den Bedürfnissen der Wirtschaft und der Haushalte orientieren werden).
2. Was ist unter dem „Schweizer Nationalvermögen“ zu verstehen? Nach den weiteren Ausführungen im Leitfaden (Abschnitt 6d) sollen das die Aktiven in der Bilanz der Nationalbank sein. Mit anderen Worten: Ein Goldwürfel von etwa 5 Meter Kantenlänge, schwankende Devisenguthaben und Facebook Aktien sollen das Schweizer Nationalvermögen ausmachen? Unter National- oder Volksvermögen verstehe ich etwas anderes: Nämlich eine leistungsfähige Wirtschaft in einer einigermassen intakten Umwelt, ein funktionierender Rechtsstaat sowie stabile soziale und politische Rahmenbedingungen.
3. Aber die Fragestellung ist auch deshalb nicht korrekt, weil die Vollgeld-Initiative keine Ausschüttung des vorhandenen SNB-Vermögens an den Bund oder die Kantone verlangt. Die SNB kann ihre Aktiven behalten. Die SNB kann das bisherige Kreditgeld aus den laufenden Kreditrückzahlungen der Banken finanzieren und das Kreditgeld schrittweise und über einen längeren Zeitraum durch schuldfreies Geld ersetzen.