Unser Mit-Batzer, Kollege und Freund Gebhard Kirchgässner ist viel zu früh gestorben.
Wir sind sehr traurig.
Monika Bütler, Urs Birchler, Marius Brülhart
Die untenstehende Würdigung erscheint in leicht gekürzter Form in der NZZ vom 5. April.
Am vergangenen 1. April verstarb – auf den Tag genau 25 Jahre nach seinem Eintritt in die HSG – Professor Dr. Dr. hc Gebhard Kirchgässner nach schwerer Krankheit in seinem 69. Altersjahr. Die Universität St. Gallen verliert mit ihm nicht nur einen brillanten Volkswirt und engagierten Lehrer, sondern auch eine moralische Instanz und einen Brückenbauer zwischen verschiedenen Disziplinen, zwischen Theorie und Praxis.
Nach seiner Habilitation an der Universität Konstanz und der ETH Zürich wirkte Gebhard Kirchgässner ab 1985 als ordentlicher Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Osnabrück. 1992 kam er als Vertreter einer modernen Generation von Volkswirtschaftsprofessoren – forschungsorientiert und international vernetzt – an die HSG. Bis zu seiner Emeritierung 2013 prägte der Wandel der damaligen volkswirtschaftlichen Abteilung zu einer international ausgerichteten und interdisziplinären School of Economics and Political Science entscheidend mit.
Gebhard Kirchgässner gehörte zu den profiliertesten und erfolgreichsten Wirtschaftswissenschaftern der Schweiz. Dabei schrieb er nicht nur für seine Forscherkolleginnen, sondern auch – in den Medien und in jüngerer Zeit in Blogs – für Studierende, Politiker und die Allgemeinheit. Seine Arbeiten deckten eine schwindelerregende Breite von Themen ab. So verfasste er zum Beispiel ein Lehrbuch zur Zeitreihenanalyse aber auch Aufsätze zur Bedeutung moralischen Handelns in Marktwirtschaft und Demokratie.
Ganz besonders in Erinnerung wird uns Gebhard Kirchgässner bleiben als einer der Väter der empirischen Forschung zu Föderalismus und Fiskalpolitik. Die Schweiz mit ihren dezentralen Entscheidungsstrukturen und der Vielfalt politischer Systeme diente ihm dabei als Labor. Viele seiner Doktorand(inn)en, die ihn bei diesen Arbeiten begleiteten, sind heute selber erfolgreich in Forschung und Wirtschaftspolitischer Beratung im In- und Ausland tätig.
Gebhard Kirchgässners Forschung fand international grosse Anerkennung. Schweizerischen und internationalen Vereinigungen diente er mit grossem Einsatz, so als Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Volkswirtschaft und Statistik, als Präsident der European Public Choice Society und als Vertrauensperson der Ethikkommission des Vereins für Socialpolitik. Hochverdient wurde es im Jahre 2011 mit dem Ehrendoktor der Universität Freiburg i. Ue. ausgezeichnet.
Ein Entertainer war Gebhard Kirchgässner gewiss nicht, er glänzte vielmehr durch Tiefgang und ein enormes Wissen auch in anderen Disziplinen. Während vieler Jahre lehrte er gemeinsam mit Kollegen aus der Politikwissenschaft. Für die Studierenden vermittelten seine Kurse wertvolle Einsichten über den Tellerrand der Ökonomie hinaus, für die HSG bildeten sie ein wichtiger Bestandteil der angestrebten ganzheitlichen Bildung.
Gebhard Kirchgässner verstand sich immer im Dienst der Gesellschaft. Ganz besonders am Herzen lag ihm sein Engagement für die Schweiz. Bereits vor seiner Einbürgerung, auf die er sichtlich stolz war, diente er seiner Wahlheimat in verschiedenen Funktionen. Er nahm unzählige Beratungsmandate für die Eidgenossenschaft wahr und präsidierte während vieler Jahre die eidgenössische Kommission für Konjunkturfragen. In seiner Wohngemeinde engagierte er sich sogar in der Geschäftsprüfungskommission.
Gebhard Kirchgässner Prinzipientreue und Aufrichtigkeit waren legendär; er sprach auch unangenehme Wahrheiten aus, wenn es der Sache diente. Von seinen Ratschlägen, ob angenehm oder unangenehm, profitierten alle, seine Kolleg(inn)en, seine ehemaligen Studierenden, die Öffentlichkeit. Die Volkswirtschaftslehre als Disziplin verliert mit ihm eine grosse Persönlichkeit, die Schreibende und viele ihrer Kollegen einen spannenden Gesprächspartner und treuen Freund.