Monika Bütler
Der Ständerat schlägt einen Neurentenbonus von 70 Franken vor als Kompensation für die Senkung des Umwandlungssatzes von 6.8% auf 6%. Bei genauer Betrachtung der Situation wird aber folgendes klar.
- Die Übergangsgeneration wird entschädigt für Verluste, die sie so gar nicht hat, weil die Reform auch eine Besitzstandwahrung enthält.
- Die bereits pensionierten Generationen werden für die erlittenen Verluste nicht entschädigt.
Um etwas Ordnung in die Diskussion zu bringen, hier eine Auslegeordnung.
Zwei Arten von Pensionskassen (vereinfacht…)
Es gibt im Wesentlichen zwei Arten, die Umwandlung des während des Arbeitslebens angesparten Vermögens in eine lebenslange Rente zu berechnen. Erstens mit zwei getrennten Sätzen für das obligatorische Altersguthaben (generiert von Jahreseinkommen unter circa 85‘000 Franken) und das überobligatorische Kapital (alles andere). Der Umwandlungssatz im Obligatorium unterliegt einer strengen Regulierung (die viel diskutierten 6.8%), den Umwandlungssatz im Überobligatorium hingegen können die Vorsorgeunternehmungen (in gewissen Grenzen) selber festlegen. Umhüllende Kassen, die meisten autonomen grossen Pensionskassen, andererseits, unterscheiden nicht zwischen Überobligatorium und Obligatorium. Sie versichern in der Regel grosszügiger als Kassen mit BVG Obligatorium (mit entsprechend höheren Beitragssätzen). Umhüllende Kassen können die Umwandlungssätze senken, solange die Mindestleistungen gemäss BVG noch immer gewährt sind.
Rentensenkungen in der BV schon seit 2004
Bis Ende 2003 galt in der Schweiz das Modell, von dem viele noch glauben, es existiere noch: Der Umwandlungssatz, der die Umrechnung vom angesparten Alterskapital in die jährliche Rente beschreibt, lag für fast alle Versicherten im BVG gleich, bei damals 7.2%. Ein Alterskapital von 100‘000 Franken löste somit eine jährliche lebenslange Rente von 7200 Franken aus.
Der Schock kam 2004 – also bereits vor 13 Jahren! Die Winterthur Versicherung senkte wegen sinkender Kapitalmarktzinsen und steigender Lebenserwartung den Umwandlungssatz im Überobligatorium auf 5.4% für Frauen und 5.8% für Männer. Weitere Versicherungen und Pensionskassen folgten kurz danach. Eine Frau, die von den 100‘000 Franken die Hälfte im Überobligatorium hatte, erhielte nur noch eine Rente von 6‘300 Franken (3600 (= 7.2% von 50‘000) + 2700 (=5.4% von 50‘000)). Also bereits 2004 faktisch nur noch einen Umwandlungssatz von 6.3%.
Das Überobligatorium ist ja nur für Einkommen über 80‘000 Franken pro Jahr, werden einige einwenden. Doch das ist nur die halbe Wahrheit (oder noch weniger). Gerade weil der finanzielle Druck auf die Pensionskassen durch den überhöhten Umwandlungssatz so stark ist, nützen diese ihren Spielraum aus (d.h. müssen ihn ausnützen, wenn sie nicht pleite gehen wollen). Bei jedem Stellenwechsel wird ein Teil des Eintrittsguthabens als überobligatorisch ausgewiesen, je mehr Stellenwechsel und gewollte oder ungewollte Auszeiten, desto höher der Anteil im Überobligatorium. Rückzahlungen von früheren Kapitalauszahlungen durch Scheidung oder Wohneigentumsbezug gehen meist ebenfalls in den überobligatorischen Teil. Tatsächlich zeigen unsere Zahlen, dass selbst Versicherte mit relativ kleinem PK Vermögen oft 50% oder mehr im Überobligatium haben.
Doppelte Kompensation der Senkung des Umwandlungssatzes
Was heisst dies nun für die vorgeschlagene Reform: Die „neuen“ Rentner haben auf dem Überobligatorium (meist nur ein Bruchteil des Vermögens) neu einen tieferen Umwandlungssatz. Doch genau diese Senkung soll für die Übergangsgeneration zwischen 45 und 65 bereits durch die Pensionskasse kompensiert werden. Es heisst: „Die Vorsorgeeinrichtungen müssen diesen Personen die Altersrente, wie sie nach BVG in der bis zum Inkrafttreten der Reform geltenden Fassung berechnet wird, garantieren.“ Finanziert wird dies über den Sicherheitsfonds.
Die Besitzstandwahrung heisst nichts anderes als dass die Übergangsgeneration bereits kompensiert wird. Und die 70 Franken sollen sie erst noch dazu erhalten. Senkungen des Umwandlungssatzes im Überobligatorium werden hingegen nicht kompensiert. Weder für alte noch für neue Rentner.
Gleiche Konditionen in der Kasse, ungleiche Behandlung in der AHV
Schauen wir uns noch die Versicherten in umhüllenden Kassen an. Umhüllende Kassen können die Umwandlungssätze senken, solange die Mindestleistungen gemäss BVG noch immer gewährt sind. Und das machen sie auch bereits intensiv. Ich kenne keine umhüllende Kasse, die heute noch in der Nähe eines Umwandlungssatz von 6.8% hat. Die aktuellen Zahlen sind zwischen 4.6 und 5%. Für die Versicherten in diesen Kassen ändert sich durch die Reform: NICHTS. Einziger Unterschied: Die neuen Rentner erhalten einen Bonus, die alten Rentner (mit den genau gleichen Konditionen): NICHTS.
Noch gar nicht erwähnt sind die vielen über 80 jährigen, die zum Zeitpunkt der Pensionierung kein oder nur wenig Kapital in der Pensionskasse hatten, weil das Obligatorium erst 1985 eingeführt wurde. Das sind von den Männern zwar nur etwa 20%, bei den Frauen ist dieser Teil allerdings höher. Und als Kompensation erhalten Sie nun in der neuen Reform: NICHTS.
Sehr geehrte Frau Bütler
Sehr interessanter Beitrag über unser Rentensystem, das habe ich so noch gar nicht betrachtet. Sollte vielleicht Pflichtlektüre für unsere Poliker werden.
Vielen Dank und mit freundlichen Grüssen
Als HSG Frau hat Sie natürlich entsprechende BVG Zusicherungen und ist auf die Fr. 70.00 in der AHV nicht angewiesen. Die Mehrzahl der CH haben das nicht. Es ist dreist wenn man sein eigenes Privileg denen die Nachteile haben als Süsses Gift überstülpen will. Die sogenannten Habenden wollen einfach nicht verstehen, dass es welche gibt, die das Geld trotz Arbeitswillen und Einsatz nicht so einfach verdienen wie eine HSG Frau.Dass man aber diese Unsolidarität so keck zur „Schau“ stellt ist dennoch ein dickes Stück. Herr verzeih Ihnen denn sie wissen nicht was sie tun.
Interessanter Beitrag. Anmerkung: Nicht nur wurde das PK-Obligatorium erst 1985 eingeführt, die PK-Kapitalfreizügigkeit wurde noch einige Jahre später etabliert. Das heisst: Wenn ein Arbeitnehmer vorher (etwa 1995) seine Stelle wechselte, dann verlor er den ganzen oder einen grossen Teil des Arbeitgeberbeitrags in seine PK. Erst nach 35 oder sogar 40 Jahren Zugehörigkeit zur selben Firma erhielt man 100% ! Wer heute um die 70 oder älter ist und im Sinne einer Karriere einige Male die Stelle wechselte, verlor jedes Mal Tausende von sFr. PK-Geld vom alten Arbeitgeber, der dieses zurückbehielt. Ökonomisch völlig sinnlos, ungerechtfertigt und hochgradig asozial ! Sesselkleber hingegen fuhren gut und haben eine tolle PK-Rente.
@akn
Sie werden es mir nicht glauben, aber um diesen Punkt geht es genau. Wenn man die AHV Renten erhöhen will, dann sollen nicht die gutverdienenden profitieren, sondern diejenigen mit tiefen Einkommen. Zum Beispiel in Form höherer Mindestrenten.
Das Konstrukt 1te und 2te Säule war von Anfang an sehr anspruchsvoll und in der Regel auch für den Normalbürger/in nicht verständlich. Es sei denn, Mann resp. Frau habe sich damit detailliert befasst. Das was jetzt an Lösungen in Bern auf dem Tisch liegt ist Pflästerlipolitik. Auf jeden Fall keine nachhaltige Lösung, weil die Politik daran nicht interessiert ist mit Rücksicht auf rund 2.2 Millionen Akteure in der Schweiz, welche sich am Topf der 2ten Säule mit Gebühren, Spesen, Abgaben und Retrozessionen in der 2ten Säule erlaben. Und deswegen wird das in keiner Diskussion angesprochen, sondern in Form einer geheimen Abmachung weggelassen.
Sind wir mal ehrlich, im Grunde ist es nichts anderes als Rentenklau. Machen wir doch mal einen kurzen Exkurs:
Swiss Life:
Diese Firma kaufte die Baco del Gottardo und musste dieses Fiasko schmerzlich abschreiben. Sie „sprang“ zum Bundesrat und jammerte wie schlecht es geht (zumal jeder 2.2te Schweizer bei der Swiss Life versichert ist) und liess die technischen Zinssätze reduzieren und senkte den Satz in der überobligatorischen Pk.
Nichts gelernt daraus, die Swiss Life kaufte die AWD und musste auch hier wieder einen Milliarden-Betrag abschreiben und „sprang“ erneut zum Bundesrat und kriegte durch „Lobbying“ eine Reduktion des technischen Zinssatzes hin.
Nun vor kurzen wurde der technische Zinssatz – neben der stetigen Reduktion des überobligatorischen Renten – um 0.50 % (nein nicht nur 0.25 %) gesenkt! In der gleichen Zeit erhöhte die Swiss Life die Dividende um 30 % auf 11.– / Aktie im Jahr 2017 wegen des „bombastischen“ Abschlusses im 2016. Im Weiteren wird der Lohn des CEO und des Managements um über 20 % erhöht. Fragen?
Das ist nur ein Beispiel von vielen.
Rechnen wir doch mal nach: Mehrwertsteuererhöhung um 0.80 % -> sorry, was der Fiskus einmal hat gibt er nicht mehr her. Reduktion von 0.80 % im obligatorischen Teil – Verlängerung des Rentenalters bei Frauen (faktisch auch eine Kürzung – wie wenn man die Mitarbeiter länger arbeiten lässt bei gleichem Lohn…) – 70 Stutz mehr Rente in der AHV – Grenzsteuer. Was bleibt uns noch vorig? Ist es das wert?