Monika Bütler
Eigentlich hatte ich gehofft, die NZZaS würde die Sache um einen angeblichen UNO Berater aus eigenem Antrieb aufnehmen. Mit „meinem“ Sonntagsblatt verbindet mich immerhin eine fast vierjährige Zeit als Kolumnistin. Es geht mir hier auch gar nicht um die NZZaS, ähnliche Phänomene lassen sich immer wieder beobachten. Wenn jetzt meine Lieblingssonntagszeitung Prügel erhält, dann auch deshalb, weil ich mir im konkreten Fall die Zeit für eine Recherche genommen habe – aus ganz persönlicher Betroffenheit.
Der Anlass: In der NZZaS vom 30. März wurde der Soziologe und „UNO Berater“ Pascal Rudin zum Thema ADHS und Ritalin interviewt. Auf der Frontseite der NZZaS war sogar von einer bald eintreffenden UNO Rüge an die Schweiz die Rede. Nur: Rudin ist keineswegs UNO Berater sondern lediglich Repräsentant der International Federation of Social Workers (IFSW) an der UNO in Genf. Weder bei der IFSW noch bei der UNO in Genf taucht der selbstbewusste junge Mann für die Öffentlichkeit sichtbar in irgendeiner offiziellen Funktion auf. Auf eine entsprechende Rückfrage gibt Rudin unumwunden zu, dass er nicht UNO Berater ist. Er habe allerdings auf die Titelsetzung keinen Einfluss.
Der vermeintliche ADHS Experte hat somit – anders als den Lesern suggeriert wird – bei der UNO null und nichts zu husten. Die UNO wird auch die Schweiz so schnell nicht rügen und schon gar nicht auf „grundlegende ethische Prinzipien verweisen: Ärzte sollten uns therapieren, nicht unsere Leistung steigern.“ Dumm ist an dieser Aussage ohnehin, dass sie unter Bioethikern alles andere als unumstritten ist, wie ein richtiger Experte, der Bioethiker Udo Schuklenk in seinem Online Kommentar zum NZZaS Artikel schreibt.
Selbst wenn man vom haarsträubenden Inhalt des Interviews absieht (siehe dazu unsere Replik hier im batz.ch): Es ist schon bemerkenswert, wie weit es ein selbsternannter Experte bringen kann und noch mehr, dass niemandem die Täuschung auffallen will. Eine Woche später bezeichnet die NZZaS den Mann nämlich noch immer als UNO Berater.
Etwas ist hier schief gelaufen.
Fangen wir einmal beim Experten selber an. Die Situation erinnert ein wenig an die vermeintliche NASA Astronautin Barbara Burtscher vor einigen Jahren. Mit einem fundamentalen Unterschied: Barbara Burtscher lebte lediglich ihren naiven Traum aus und schadete ausser sich selbst niemandem – vielleicht mit Ausnahme einiger gutgläubiger Journalisten. Sie instrumentalisierte auch nicht die NASA, um ihre Sicht der Welt zu verbreiten. Dies ganz im Gegensatz zu Rudin, der die vorgespielte Nähe zur UNO benutzt, seine Weltanschauung unter dem Mäntelchen einer angesehenen Internationalen Organisation anderen aufs Auge zu drücken. Oder wie es der oben erwähnte Bioethiker Udo Schuklenk treffend formulierte: „Naja, dann muss es ja stimmen. Berufung auf Autoritäten hat ja oft schon Argumente ersetzen können, gelle?“
Natürlich kann man Rudin – wie damals Barbara Burtscher – nicht beweisen, die falsche Bezeichnung selber in die Welt gesetzt zu haben. Rudin hat allerdings auch nichts unternommen, als ihn die Medien fälschlicherweise zum Experten machten – immerhin war die NZZaS nicht die erste Zeitung, die ihn als UNO Berater bezeichnete. Nicht gerade ein ethisches Verhalten für jemanden, der mit Zeigefinger und Moralkeule die Gesellschaft nach seinen Vorstellungen verändern will.
Zum Gelingen der Geschichte reichte dies aber noch lange nicht. Es braucht dazu die Gutgläubigkeit der Medien, der Leser, sowie das Schweigen der richtigen Experten. Es ist schon erstaunlich: Aufschneider und selbsternannte Gurus gab es schon immer, aber noch nie war es so einfach, jemanden mit ein paar Klicks zu entlarven. Ein fünfminütiges Studium von Pascal Rudins Homepage hätte dazu genügt. Diese zeigt ein ziemlich breit ausgewalztes und bunt ausgeschmücktes Portrait eines von sich selbst sehr überzeugten jungen Mannes mit noch nicht gerade berauschendem Leistungsausweis – aber keine eigentliche Fehlinformation. Die mediengerechte Selbstpromotion von Besserwissern und Weltverbesserern ist nur möglich, wenn die Medien nicht richtig hinschauen. Die Parallelen zur NASA Astronautin sind augenfällig.
Hellhörig müssten nicht nur die Medienschaffenden selber sein, sondern auch die Verwerter der Informationen, die Leser. Dies insbesondere dann, wenn respektierte internationale Organisation wie die UNO vorgeschoben und instrumentalisiert werden, um die Anliegen von Interessengruppen durchzusetzen. Die Online Kommentatoren und Leserbriefschreiber diskutierten zwar die Inhalte des Interviews, die Herkunft der „Expertenmeinung“ hingegen kümmerte kaum jemanden.
Zu guter Letzt gehört auch den richtigen Experten ein Tritt ans Bein. Für die Medien ist es nämlich oft fast unmöglich, von ausgewiesenen Fachleuten eine für die Allgemeinheit gut verständliche, wissenschaftliche Sicht auf ein Thema zu erhalten. Ich habe dies vor einiger Zeit in der NZZaS bereits thematisiert. Dass gewisse Forscher ihre Forscherkolleg(inn)en, welche ihr Wissen dem Publikum zur Verfügung stellen, abschätzig als Journalisten bezeichnen, spricht Bände.
Am Schluss vertraut also der selbsternannte Experte auf die Gutgläubigkeit der Journalistin, diese vertraut den Angaben des Interviewten. Die Leser und weitere Medien wiederum vertrauen der Zeitung und die richtigen Experten schütteln zwar den Kopf, schweigen aber. Manchmal ist Kontrolle eben tatsächlich besser.
Der UNO-Etkettenschwindel ist gang und gäbe und reicht weit über den Fall Rudin hinaus. Auch viele Leute die bei irgendeinem unter dem grossen UNO-Dach angesiedelten Gremium eine Funktion ausüben werden von den Medien zu Unrecht mit einer Art UNO-Heiligenschein versehen. Eine einzige Person ist befugt, sich im Namen der Organisation zu äussern: der UNO-Generalsekretär (sowie die ihm untergeordneten Beamten). Doch wenn sich irgendein „UNO-Komitee“ zu einer aktuellen Frage äussert, dann spricht es nur im eigenen Namen. Die UNO (als solche) hat nicht Stellung bezogen.