Monika Bütler
Mit etwas Verspätung meine Kolumne in der NZZ am Sonntag vom 24. März 2013. (Dafür bereits mit konstruktiven Reaktionen, u.a.: „Dass Sie einen solchen Dreck in einer Zeitung abdrucken lassen ist ein Skandal.“)
„Nur deutsche Bewerber für Lehrstuhl an Schweizer Uni eingeladen!“ Dieser Aufschrei geht in regelmässigen Abständen durch die Medien. Es scheint offenkundig: Schweizer werden benachteiligt.
Meine eigene, langjährige Erfahrung mit Berufungen deckt sich nicht mit dem Klagelied; es wird wohl eher zugunsten der Schweizer entschieden. Nur gibt es dazu wenig Gelegenheit. Unbestreitbare Tatsache ist: Um akademische Positionen bewerben sich kaum Schweizer(innen).
Es fehlen eben – so argumentieren die Differenzierteren – einheimische Kandidaten, weil der Nachwuchs vernachlässigt werde. Doch halt: Geben nicht Hochschulen und Nationalfonds jedes Jahr riesige Summen für die Nachwuchsförderung aus? Auch wenn die Treffsicherheit bei der Vergabe manchmal zu wünschen übrig lässt: So unattraktiv können diese Programme nicht sein. An Bewerbern – Schweizern und Ausländern – fehlt es in der Regel nicht.
Liegt das Problem vielleicht im Ausland? Bieten andere Länder ihren Nachwuchsforschern bessere Karrieremöglichkeiten? Stimmt teilweise. Die offensichtliche Lösung wäre dann, dass die jungen Schweizer Forscher selber für ein paar Jahre ins Ausland gehen. Gerade Hochschulen, die ihren Forschern im internationalen Wettbewerb sehr gute Bedingungen anbieten, sind offen für die hellsten Köpfe – im eigenen Interesse.
Doch viele Schweizer wollen nicht. Zugegeben, das Leben eines Nachwuchsforschers „gleicht der Reise /Eines Wandrers in der Nacht“. Vor einer mühsamen Bewerbung um einen Aufenthalt in der Fremde (statt eines bequemen SNF-Stipendiums) schrecken viele Schweizer Nachwuchsleute zurück. Vor allem für Frauen ist es schwierig, den Auslandaufenthalt mit einer Familie zu verbinden. Paradoxerweise: Seit dieses Problem thematisiert wird, wollen auch viele Männer aus familiären Gründen nicht mehr weg.
Akademische Karrieren gleichen einem Start-up Unternehmen in eigener Sache: Sie sind riskant, bedingen einen hohen Einsatz, grosse Mobilität, und am Schluss braucht es ein Quäntchen Glück. So wenig wie eine Firma mit einem idealen Businessplan sicher reüssiert, so wenig lässt sich für eine akademische Karriere eine Punkteliste abfahren. Das Risiko schreckt ab auch wenn am Schluss eine interessante Stelle mit viel Gestaltungsfreiheit lockt.
Dabei müsste dieses Risiko gerade für Schweizer tragbar sein: In kaum einem anderen Land haben Forscher nach abgebrochener Unikarriere so grosse Chancen im normalen Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Auch hier gilt der Schluss des Beresina-Lieds: „Hinter jenen fernen Höhen / Wartet unser noch ein Glück“.
Verlockend wäre es, der Wanderung durch die Nacht ihren Schrecken zu nehmen: Mehr Planbarkeit, insbesondere Stellen mit der Aussicht auf eine permanente Professur könnten die akademische Karriere für Schweizer wieder attraktiver machen. Aber Vorsicht: Dies funktioniert nur, wenn solche Stellen ergebnis-offen ausgeschrieben und nur die Besten von der provisorischen Stelle auf eine feste Stelle befördert werden. Ansonsten landen wir wieder im alten System, bei dem die Professoren ihre treu ergebenen Oberassistenten auf die planbaren Stellen setzten und sich die Uni später nicht getraute, jemanden zu entlassen. Diese selektive Planbarkeit hat in der Vergangenheit bestimmt nicht zu Spitzenleistungen geführt.
Geht es in der Debatte um den Schweizer-Malus am Ende vielleicht gar nicht um Fairness in der Nachwuchsförderung? Schlagzeilen macht eine Berufung vor allem dann, wenn ein Deutscher einem Schweizer vorgezogen wird. Ich kann mich jedoch nicht erinnern, dass jemals die Nichtberücksichtigung von Frauen einen Aufschrei ausgelöst hätte. Werden keine Frauen eingeladen, ist dies eben etwas gaaaanz anderes. Schliesslich gibt es gar nicht genügend qualifizierte Bewerberinnen. Und viele der geeigneten Frauen entscheiden sich freiwillig gegen die akademische Karriere. Genau! Genau?
Liebe Frau Bütler
Dieser Beitrag war schon lange fällig! Dankeschön. Sie haben das wunderbar auf den Punkt gebracht – sachlich, klar. Warum sind die Hochschulen auf diesem einem Auge blind? Die Erkenntnisse hat die Wissenschaft schon längstens geliefert…
Liebe Frau Bütler,
mein Grossvater sagte mal, über Unsinn soll man nicht diskutieren.Man solle ihm keinen Raum geben. Die Reaktionen auf Ihren Beitrag geben ihm, obwohl er vor dem Computer verstorben war, wieder mal recht.
An die Uni gehören die Besten der Besten. Und wenn halt nur Deutsche kommen, dann kommen halt nur Deutsche. Prof. Birchler ist doch auch ein Schweizer. Und was für einer! Was die Schweizer an Deutschen nicht mögen, ist, dass sie oft viel eloquenter und ein zacken schneller sind. Da muss man halt paroli bieten. Und auch mal ein wenig frech sein.
Aber, Hand aufs Herz, wir Schweizer haben nicht mal von der Wirtschaftskrise was mitbekommen. Das bisschen UBS da… wir haben schon längstens keine Krise mehr gehabt. Die uns erdet. Wie wollen wir da noch nüchtern über klare Köpfe entscheiden? Vielleicht wenn wir nur noch 1000.– pro Tag abheben könnten?
Anstatt dem typisch schweizerischen Stellvertreterkonflikt mit den Ausländern zu fröhnen, sollten wir einfach etwas mehr bei Harvard und Co. abgucken. Bessere Lehrmittel, früh spannende Forschung vermitteln statt ein Kopfnuss-Assessment. Mehr Öffentlichkeitsarbeit, gemeinsame Werte und Symbole aufbauen. Zeigen warum Wissenschaft – eben – Wissen schafft.
Heute sind Professoren doch für viele nur eine wandelnde Wikipedia. In der Erfahrung – trotz überwältigendem Inhalt – auch manchmal mit mangelnder Übersetzung. Wie will man urteilen über eine Sache, deren Nutzen man verkannt hat? Mir graut vor Volksabstimmungen.