Monika Bütler
Der frühere BSV Chef Yves Rossier hat es vorgerechnet: Die vermeintliche Heiratsstrafe in der AHV (Plafonierung der Ehepaarrenten auf 150% der Maximalrente) ist im Durchschnitt ein Heiratsbonus. Denn was einem Ehepaar nach der Pensionierung gekürzt wird, ist deutlich kleiner als die Vorteile, die einem verheiraten Paar zugute kommen vor der Pensionierung.
Yves Rossier geht von finanziellen Nachteilen in der Grössenordnung von 1.7 Mia Franken pro Jahr aus (Plafonierung der Rente). Demgegenüber stehen Vorteile von circa 3 Mia Franken gegenüber. Diese setzen sich primär zusammen aus einer Beitragsbefreiung des nichterwerbstätigen Ehepartners während der Ehe und der Witwen/Witwerrente.
Durch die Beitragsbefreiung und das Splitting der Beiträge während der Ehe kann eine halbe bis eine ganze zusätzliche Rente ausgelöst werden – ohne dass der/die Empfängerin je zur Finanzierung der AHV beigetragen hätte. Dieser Vorteil wird nämlich auch kinderlosen Ehepartnern gewährt. Was daran familienfreundlich sein soll, ist mir schleierhaft. Durch Betreuungsgutschriften erhalten Eltern ja bereits einen grosszügigen Zustupf an die AHV Beiträge (meiner Meinung nach ist dies die richtige Stossrichtung).
Mit der Witwenrente und Zusatzleistungen zur Witwenrente (auch für kinderlose Witwen) bietet die AHV den Ehepaaren zudem eine kostenlose Versicherung, die pro Jahr mit mehr als 2.5 Mia Franken zu Buche schlägt. Die von Rossier bezifferten Kosten dieser Leistungen unterschätzen den Wert der Versicherung noch. Denn müssten die Individuen auf dem privaten Markt die Leistungen kaufen, wären sie wohl bereit, deutlich mehr für eine Absicherung des hinterbliebenen Partners zu bezahlen. So wie wir bei allen Versicherungen tendentiell mehr zu zahlen bereit sind als der erwartetete Wert der Leistungen.
Natürlich stimmt diese Rechnung nur im Durchschnitt, nicht für alle: Am besten fährt, wer bis zur Pensionierung verheiratet zusammenbleibt (und so von den Vorteilen der AHV in der Ansparphase profitiert) und sich nach der Pensionierung sofort scheiden lässt (um der Plafonierung zu entgehen). Dass sich einige Paare durchaus so verhalten, zeigt ein früherer Beitrag im batz.
Man muss die gesellschaftspolitischen Werte, die der Struktur der AHV zugrunde liegen, nicht mögen: Das System ist wenigstens konsistent. Es geht davon aus, dass Ehepaare – mit oder ohne Kinder – dem traditionellen Lebensentwurf folgen (er arbeitet, sie arbeitet nicht oder nur Teilzeit oder nur wenn die Kinder ausgeflogen sind) und zusammenbleiben, bis der Tod sie scheidet.
Ich halte es für problematisch die Plafonierung der Altersrenten mit möglichen Witwen- und Witwerrenten aufzuwiegen, denn die AHV hat nicht zum Zweck allen gleich viel zu entrichten oder einen „Ausgleich der Anwartschaften“ zwischen den (potentiellen) Bezügern zu schaffen.
Die AHV funktioniert nach dem Grundsatz, dass in erster Linie Arbeitnehmer und der Bund (bzw. die Konsumenten) für die Finanzierung der AHV aufkommen. Selbständigerwerbende, Nichterwerbstätige und bis zu einem gewissen Grad auch landwirtschaftliche Arbeitnehmer wurden hingegen traditionell vom Gesetzgeber geschont. Die Finanzierung findet unabhängig davon statt, ob jemals Leistungen und in welchem Umfang aufgelöst werden. Der Ursprung der ersten Säule liegt im Schutz aller Versicherten gegen Armut während Invalidität, bei Wegfall des Versorgers und im Alter.
Die Plafonierung ist eine besondere Bezugsobergrenze für Ehepaare dar, da diese niedrigere Lebenshaltungskosten pro Kopf tragen müssen. Über den Mechanismus lässt sich selbstverständlich streiten, da dieser von der Versicherungsdauer respektive Versicherungslücken beeinflusst wird. Eigentlich müsste man sich aus systematischen Gründen Gedanken machen, ob es nicht angebracht wäre, die Plafonierung auch für Personen im Konkubinat einzuführen.
Worin ich mit Ihnen einig bin ist, dass die erste Säule von einem traditionellen Rollenbild ausgeht. Dies zeigt sich aber nicht bei der Teilung der Erwerbseinkommen während den Ehejahren noch bei der Plafonierung der Renten. Ich finde vielmehr, dass die unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen bei den Witwen und Witwerrenten und insbesondere für geschiedene Frauen in Richtung mehr Bedarfsgerechtigkeit überarbeitet werden sollten.
@StefanMüller: Sie haben natürlich völlig recht, dass es ökonomisch eigentlich keinen Sinn macht, die Boni und Strafen miteinander zu verrechnen. Politisch sieht die Sache halt etwas anders aus – vor allem wenn es um „Gerechtigkeit“. In der Realität ist es allerdings fast unmöglich, Konkubinatspaare ebenfalls zu plafonieren. So gehen heute viele Länder zu Individualrenten über – auf Kosten der Alleinstehenden, die ohnehin schon viel stärker armutsgefährdet sind.
Mit ihrem zweiten Kommentar gehe ich völlig einig. Die AHV basiert allerdings nicht auf einem reinen Bedarfsprinzip, dieses wird durch die EL garantiert. Da es in der Schweiz keine Beitragsobergrenze gibt, sorgt die (schwache) Beitragsabhängigkeit der Renten für einen (kleine) Ausgleich.