Soll das Rentenalter pensioniert werden?

Kolumne in der NZZ am Sonntag, 17. Juni 2012

Frankreichs Präsident Hollande hielt sein Wahlversprechen. Er senkte das Mindestrentenalter wieder auf 60 Jahre. Von einer vollen Rente mit 60 profitieren allerdings nur Personen mit mindestens 41 Beitragsjahren. Geringverdiener, die früh zu arbeiten begannen, sollten damit von weiteren Sparmassnahmen in der Alterssicherung verschont werden.

Ironischerweise lag François Hollande mit seiner Massnahme gar nicht weit weg von den Forderungen des Swiss Life Konzernchefs Bruno Pfister. Dieser schlug vor kurzem mindestens 45 Einzahlungsjahre in die berufliche Vorsorge vor – und wurde dafür öffentlich ausgepfiffen. Auch seine Idee war bestechend sozial: Ein Akademiker beginnt später zu arbeiten, zahlt weniger lang in AHV und PK ein, lebt am Schluss auch noch länger als ein Arbeiter und profitiert damit gerade doppelt von einem fixen Rentenalter: Kürzere Beitragsdauer, längere Rentendauer.

Der Hollande-Pfister Ansatz – Mindestbeitragsdauer statt fixes Rentenalter – sieht daher wie die perfekte Lösung einer vertrackten Ungerechtigkeit in der Alterssicherung aus. Auf den ersten Blick. Der Teufel liegt in der Umsetzung. Nicht weil es faktisch 45 Jahre braucht, bis ein solches System vollständig eingeführt ist. Nein, weil es keine eindeutige Antwort gibt auf die entscheidende Frage: Was ist überhaupt ein Beitragsjahr?

Erhält ein Beitragsjahr gutgeschrieben, wer in einem Kalenderjahr einen Mindestbeitrag einzahlt? Oder mindestens x Stunden arbeitet? Was passiert während Arbeitslosigkeit und Krankheit? Wie wird Betreuungsarbeit angerechnet? Wie verbucht man Selbständige, Künstlerinnen, international Mobile? Der Weg über ein „gerechtes“ Anrechnungssystem führt automatisch durch die administrative Hölle. Für Forscher zwar höchst interessant, für die Steuerzahler kaum.

Ich bin selber ein gutes – im Sinn der Gleichbehandlung schlechtes – Beispiel: Ein einziges Beitragsjahr fehlt mir in der AHV während mir gleichzeitig vier Jahre an die Niederländische Rentenkasse angerechnet wurden. Ein weiteres Beispiel: Einer nicht erwerbstätigen Ehefrau werden Beitragsjahre angerechnet, selbst wenn sie keine Kinder betreut. Sie kann sich eventuell eine Frühpensionierung eher leisten als eine alleinerziehende Putzfrau, die ihr Leben lang schuftete.   

Die Definition der Beitragsjahre ist zudem Manipulation und politischer Einflussnahme ausgesetzt. Wer soll denn entscheiden, was wie zählt?

François Hollandes Vorschlag zeigt dies. Als Beitragsjahr soll neu schon gelten, wenn auf 7000 Euro Einkommen Beiträge bezahlt wurden. Dies erreicht der smarte Student mit links, die Teilzeitverkäuferin im Supermarkt eventuell nicht. Auf weitere Aufweichungen der Kriterien wette ich gerne. Über eine grosszügige Anrechnung der Beitragsjahre wird die Frühpensionierung durch die Hintertüre wieder eingeführt.  Vielleicht nicht für alle, doch wenigstens für diejenigen, von denen politische Unterstützung zu erwarten ist.

Ob ich 65 bin, kann der Staat zweifelsfrei und billig überprüfen, ob ich wirklich 45 Jahre einbezahlt habe dagegen kaum. Faute de mieux bleibt das gesetzliche Rentenalter die am wenigsten schlechte Referenzgrösse. Es setzt zudem wichtige Zeichen an den Arbeitsmarkt. Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass bei Reformen die meisten älteren Arbeitnehmer bis zum neuen, höheren Rentenalter beschäftigt bleiben. Zweifellos haben es Ältere schwerer, einen passenden Arbeitsplatz zu finden als Jüngere. Doch ein Arbeitgeber wird einen 58-jährigen eher anstellen, wenn das Rentenalter 65 ist, als wenn es 60 ist und somit nur 2 Jahre bis zur Pensionierung bleiben.

Ein identisches Rentenalter für alle ist kein perfektes Kriterium. Doch die Lösung sind nicht virtuelle „Beitragsjahre“, sondern Flexibilisierungen nach unten und nach oben sowie eine Abfederung für diejenigen, die nicht weiter arbeiten können.

2 thoughts on “Soll das Rentenalter pensioniert werden?

  1. Nur weil administrativ einfach, ist ein fixes Rentenalter nicht besser.

    „Als Beitragsjahr soll neu schon gelten, wenn auf 7000 Euro Einkommen Beiträge bezahlt wurden. Dies erreicht der smarte Student mit links, die Teilzeitverkäuferin im Supermarkt eventuell nicht.“

    Der Fehler dieses Kriteriums liesse sich vermeiden, wenn man statt Beitragsjahren Monate nimmt, in denen über 80% gearbeitet wurde. Dies lässt sich bei der Berechnung der Steuerpflicht ohne riesigen Aufwand festhalten und es wäre auch denkbar, dass dies nur erfasst wird, wenn der Beitrag unterhalb eines Minimums liegt.

  2. AHV neu finanzieren

    Die AHV sollte in Zukunft nicht wie bisher weitgehend über Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge finanziert werden. Ergiebige neue Finanzquellen wie zum Beispiel eine Finanztransaktionssteuer, eine Erbschaftssteuer für sehr Reiche oder eine Luxussteuer sind zu prüfen. Aber auch eine Umlagerung der bestehenden Ausgaben von Bund und Kantonen zugunsten der AHV ist diskutierbar.

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