Abwanderung — deuxième service.

Wie schnell man jemandem Unrecht tut! Gestern habe ich 20Minuten gescholten wegen oberfächlicher Berichterstattung. Heute serviert die NZZ (Titelblatt und S.25) dieselbe Suppe. Nicht ganz so heiss, sondern mit dem Tag Verzögerung, an dem man den seriösen Journalismus erkennt, und mit weiteren Zitaten „angereichert“. Wir lesen zum Beispiel, dass Banken auch Schrankfächer vermieten. Der Motor der Story ist jedoch immer noch die Aussage des SVP-Nationalrats, wonach die Abgeltungssteuer die kleinen Schweizer Banken bedrohe. Immerhin bezeichnet die NZZ dessen Schätzungen als „am obersten Ende der Marktschätzungen“. Vor allem aber erfahren wir endlich die tiefere Ursache der kommenden Abwanderung deutscher Vermögen: „Hiesige Politiker und Banker könnten sich nicht in ausländische Bankkunden hineindenken“, wird der Nationalrat zitiert. Wir können nicht beurteilen, welche Partei sich von allen am besten in ausländische Staatsangehörige einfühlt. Der Autor des NZZ-Artikels wäre dazu besser plaziert gewesen. Er ist nämlich deutscher Staatsangehöriger. Leider hat er — seriös und einfühlsam  — die eigene Meinung für sich behalten. Dafür und damit er nicht wieder aus 20Minuten rezyklieren muss, schenken wir ihm ein Jahresabo für den Batz.

One thought on “Abwanderung — deuxième service.

  1. Damit klar ist, was ich tatsächlich gesagt habe, nachfolgend die Hintergründe. Ich habe mit kleinen Banken kleine Bankfilialen der Grenze entlang gemeint, die vom Grenzverkehr profitieren und damit überhaupt ihre kritische Grösse für ihre Existenz erreichen. Dass die Story auf „kleine Banken“ lautete, ist nicht meine Stossrichtung, sondern die der Artikelverfasser, also ganz gewöhnlicher Thesenjournalismus. Nachdem im laufenden Jahr bereits CHF 62 Mrd. ausländische Privatkundengelder aus der Statistik verschwanden, dürfte wohl die Schätzung, dass dann insgesamt über CHF 100 Mrd. abgezogen werden, nicht mehr sehr mutig sein.

    Hier nun meine Meinung zu diesem Thema: Im Oktober 2007 verwalteten die Banken in der Schweiz noch Wertschriftenvermö-gen ausländischer Privatkunden in Höhe von CHF 1’078 Mrd., was damals rund 20% aller bei Banken in der Schweiz deponierten Wertschriftenbestände entsprach. Den höchsten Anteil am Total erreichten die ausländischen Privatkundenvermögen im Januar 2001 mit fast 29%. Heute, d.h. per Ende August 2010, belaufen sich diese Wertschriftenbestände der ausländischen Privatkunden noch auf CHF 619 Mrd. und ihr Anteil an den Wertschriftendepots liegt bei 14.6%. Selbst wenn man noch die kommerziellen Auslandkunden als verdeckte ausländische Privatkunden einstufen würde, ergeben sich nur weitere CHF 127 Mrd. (Spitzenwert CHF 238 Mrd.) bzw. 3% am Gesamtbestand. Damit haben die Banken in der Schweiz seit dem Allzeithoch ausländische Privatkundenvermögen von CHF 459 Mrd. und CHF 111 Mrd. kommer-zielle Kundendepots verloren, was einer Einbusse von total CHF 570 Mrd. bzw. fast 43% (Privatkunden) und 47% (Kommerzkunden) entspricht. Alleine in den ersten 8 Monaten des laufenden Jahres gingen CHF 62 Mrd. verloren. Zweifellos geht ein gewisser Teil dieser Vermögensschrumpfung seit 2007 auch auf Verluste an den Ak-tien- und Devisenmärkte zurück, aber im laufenden Jahr kann der Rückgang nicht auf die Verluste an den Finanzmärkten zurückgeführt werden, denn bis August, so zeigt z.B. der Pictet-25-Index liegen konservative gemischte Portefeuilles sogar mar-ginal im Plus. Der schwindenden Anteil an den verwalteten Gesamtvermögen ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Rückgang vor allem auf Rückzüge zurückzuführen ist. Diese können durch effektive Abzüge, Verschiebungen an andere Finanzplätze oder durch einen Wohnortwechsel des Depotinhabers in die Schweiz erfolgt sein. Ein Teil dieser Kapitalabflüsse ist die Folge der Rechtsunsicherheit, die durch den Bundesrat im Zusammenhang mit der Diskussionen um eine Abgeltungssteuer verursacht wur-de. Viele ausländische Kunden sind nicht gewillt zuzuwarten, bis ihre Vermögen durch Zwangsenteignungen zur „Regulierung der Altlasten“ um 15-25% geschröpft werden.
    Nur ein kleiner Teil, nämlich 12% bzw. CHF 72 Mrd. der ausländischen Privatkun-dendepots, ist effektiv in Wertschriften von Schweizer Inland-Emittenten angelegt. Der Rest wurde im Ausland investiert, vor allem in der EU und dort wiederum zu ei-nem grossen Teil im Euro-Gebiet. Rund 40% der Anlagen lauten auf USD, 38% auf EUR, 12% auf CHF und die restlichen 10% verteilen sich auf übrige Währungen. Nach Anlageinstrumenten gliederten sich die CHF 619 Mrd. wie folgt: Geldmarkt 1.3%, Staatsanleihen 5.0%, übrige Obligationen 22.3%, Aktien 20.4%, Fonds Schweiz 4.5%, Fonds Ausland 38.4%, strukturierte Produkte 8.1%. Auf den meisten dieser Instrumente wird bereits eine Steuer erhoben, insbesondere für EU-steuerpflichtige Privatpersonen. Die Zinserträge von Obligationen und Geldmarktan-lagen unterliegen entweder der Zahlstellensteuer oder einer Verrechnungssteuer. Von den Aktiendividenden wird in den meisten Ländern eine Verrechnungssteuer abgezogen. Schweizer Fonds unterliegen einer Verrechnungssteuer. Ausländische Fonds, deren Erträge zu 40% aus Zinserträgen bestehen, unterliegen der Zahlstel-lensteuer. Dieser Satz sinkt ab 2011 sogar auf 25%. Deshalb sind die Steuererträge, wie sie gewisse EU-Finanzminister aus einem Abgeltungssteuerabkommen erhoffen, viel zu hoch gegriffen. Es sei denn, die Abgeltungssteuer würde zusätzlich zu den bereits abgezogenen Verrechnungs- oder Zahlstellensteuern erhoben. Eine solche Doppelbesteuerung würde den Finanzplatz Schweiz vollends aus dem Wettbewerb werfen. Werden aber die Zahlstellensteuern für EU-Steuerpflichtige aus einzelnen Ländern und die Verrechnungssteuern (z.B. auf Dividenden von Schweizer Aktien) aufgehoben, dann würde der Schweizer Fiskus massiv betroffen, denn der Bund kassiert 25% der Zahlstellensteuer und 35% Verrechnungssteuer auf sämtlichen in-ländischen Zins- und Dividendenausschüttungen, die nicht zurückgefordert werden. Bei einem Anlagevolumen von rund CHF 72 Mrd. bei inländischen Emittenten und weiteren CHF 28 Mrd. in inländischen Fonds, könnte sich der Gesamtbetrag der Er-träge durchaus auf gegen CHF 2-3 Mrd. (2%-3% Rendite) belaufen, woraus sich eine Verrechnungssteuer von rund CHF 500 Mio. bis CHF 1 Mrd. ergibt. Diese müsste sich der Bund ans Bein streichen, wenn anstelle der Verrechnungssteuer die Abgeltungssteuer tritt. Auch von der für 2011 budgetierten Beteiligung an der zahlstellensteuer von CHF 135 Mio. würde wohl rund ein Drittel entfallen.
    Der Abzug ausländischer Privatkundenvermögen trifft die Schweiz aber noch viel härter, denn allein der bisherige Aderlass von CHF 570 Mrd. (ausländische Privat-kunden- und Kommerzkundendepots) bedeutet bei einer „Activity ratio“ (Depotgebühren, Börsenkommissionen, Devisenhandel etc.) von 0.8% einen Verlust an Wertschöpfung von rund CHF 4.5 Mrd. oder umgerechnet auf Vollzeitstellen von rund 10’000 Mitarbeitern. Dass diese Schätzungen durchaus realistische sind, zeigen die Zahlen für alle Banken in der Schweiz, die im Jahre 2007 noch rekordhohe Kommissionserträge aus dem Wertschriften und Anlagegeschäft von CHF 38.5 Mrd. erzielten, 2009 noch CHF 26 Mrd.: ein sattes Minus von CHF 12.5 Mrd. Dass der Personalbestand „nur“ um 6’400 gesunken ist, dürfte wohl der Zurückhaltung der Banken zu verdanken sein, die ihre hochqualifizierte Belegschaft in der Hoffnung auf bessere Zeiten nicht reduziert haben. Die Lohnsumme der Schweizer Banken in der Schweiz ist seit dem Höchststand um knapp CHF 4 Mrd. auf CHF 28.3 Mrd. zurückgefallen. CHF 4 Mrd. weniger Lohnsumme bedeutet wohl auch rund CHF 500 Mio. weniger Einkommenssteuereinnahmen. Sollten diese Hoffnungen auf bessere Zeiten aber durch die Politik noch endgültig zunichte gemacht werden, dann werden Verlagerungen von Geschäftsaktivitäten nach Fernost etc. auch personelle Konsequenzen nach sich ziehen. Deshalb sind als Mindestforderungen bei den Verhandlungen mit Deutschland und Grossbritannien in Sachen Abgeltungssteuern die Beibehaltung der Schweizer Verrechnungssteuer, Reziprozität bei der Zahlstellen- und Abgeltungssteuer für Schweizer Geldanlagen in der EU, der freie Zugang für Schweizer Anlagefonds in Deutschland und Grossbritannien und die freie Kundenwerbung in diesen Ländern durch Schweizer Finanzdienstleister ein Muss.

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