Monika Bütler
National- und Ständerat streiten um die – dringend notwendige – Reform der Ergänzungsleistungen (siehe NZZ und Tagesanzeiger, zum Beispiel). Ein Knackpunkt dabei ist die Anrechnung des Vermögens.
Heute beträgt der Freibetrag zum Bezug von EL 37‘500 Franken, das darüber hinausgehende Vermögen wird nur zu 1/10 (im Heim: 1/5) zum Einkommen gerechnet. Es ist somit möglich, EL zu beziehen mit einem Vermögen von deutlich über 100’000 Franken. Das ist aus verschiedenen Gründen heikel: Erstens, weil mit diesem partiellen Vermögensschutz die Erben auf Kosten der Steuerzahler versichert werden. Zweitens, weil eine solch komplizierte Regelung zu einer Bevorzugung von potentiellen EL Bezügern mit mehr Wissen (oder schlauen Kindern) führt. Zu guter Letzt widersprechen Zahlungen an Bezüger mit genügend Vermögen dem Sinn von bedarfsorientierten Leistungen.
Der Nationalrat möchte nun die Vermögensgrenze auf 100’000 Franken absenken und „übermässigen“ Verwendung des Kapitalbezugs aus der zweiten Säule mit einer 10% Strafkürzung auf den EL belegen. (In Klammern, aber wichtig: Es wäre besser gewesen, die Vermögensanrechnung bei EL zur IV anders zu behandeln als die EL zur AHV. Für die IV wäre eine höhere Vermögensgrenze angemessen, da es hier nicht um den Schutz der Nachkommen geht, sondern um die eigene künftige Lebensgrundlage der Versicherten.)
Unbestritten hat das schweizerische Sozialversicherungssystem starke Anreize für einen Kapitalbezug aus der zweiten Säule (siehe hier und hier und hier). Das durch die EL garantierte Einkommen liegt rund 1000 Franken pro Monat über der AHV-Maximalrente. Wer eine relativ kleine Rente aus der Pensionskasse und kein Privatvermögen hat, fährt mit dem Barbezug fast immer besser als mit der Rente. Besser fahren auch diejenigen mit einer kürzeren Lebenserwartung – oft Menschen, die nicht so Glück hatten im Leben,
Die Anreize kommen allerdings nicht nur von den EL; die steuerliche Belastung des Kapitalbezugs ist in den meisten Kantonen ungleich tiefer als die Steuerlast auf den PK Renten. Salopp gesprochen bestraft man Leute, die vorher wegen tieferen Steuern zum Barbezug gelenkt wurden (wobei auch die Pensionskassen wegen überhöhten Umwandlungssätzen keine Veranlassung sehen, dies zu ändern).
Eine Anrechnung vergangener Ausgaben ist heikel, rechtlich und praktisch. Abgesehen von Schenkungen an die Nachkommen: Wie soll der Staat beurteilen, welche Ausgaben „unnötig“ waren, wann der Verbrauch des Kapitals „vorzeitig“ war? Vielleicht wurde das PK Kapital bezogen, um eine vorzeitige Pensionierung aus gesundheitlichen Gründen zu finanzieren (und die IV zu schonen)? Vielleicht war die Bezügerin krebskrank zum Zeitpunkt der Pensionierung? Ausser in wenigen klaren Fällen (Schenkungen an Kindern, Immobilienerwerb) ist die Beurteilung eines vorzeitigen Verbrauchs der PK Guthaben willkürlich und anmassend.
Was tun? Es ist sinnvoll – wie vorgeschlagen – die Vermögensgrenze zu senken. Die EL sind nicht dazu da, die Erben zu schützen. Die Vermögensgrenze bei den EL zu AHV hätten man noch weiter senken können und dafür die partielle (für viele zu komplizierte) Anrechnung des Vermögens als Einkommen fallen lassen. Wer zuerst den Grossteil des Vermögens abbauen muss, wird sich seine Anschaffungen/Ausgaben gut überlegen – ob mit oder ohne Kapitalbezug aus der PK.
PS1: Vielleicht überlegen sich ja die PolitikerInnen auch einmal, ob es wirklich sinnvoll ist, den Kapitalbezug steuerlich zu subventionieren – um ihn dann später wieder zu bestrafen.
PS2: Hausbesitz kompliziert die Analyse ein wenig. Es gibt aber genügend Ideen (zBsp Rückzahlung der EL bei der Veräusserung/Vererbung des Hauses), damit umzugehen.
Der Kapitalbezug mag ein Problem sein und ein Schutz der Erben schwierig zu rechtfertigen. Die diskutierten Lösungsansätze scheinen mir aber die Rechnung ohne den Wirt zu machen. Ohne Schutz des Erbes entfällt auch ein wesentlicher Anreiz, Vermögen aufzubauen. Und ist nicht gerade das ein wesentlicher Faktor des Wohlstands? Heute liegen im Heim sparsame „Büezer“ als Selbstzahler neben Leuten, die zeitlebens von der Hand in den Mund gelebt haben. Das führt im Alter (wie früher schon beim Aufziehen der Kindern oder bei Invalidität) zu einer Bestrafung von Eigenverantung und Sparsamkeit. In letzter Konsequenz resultiert eine Zweiteilung der Gesellschaft: Einkommen bis in den Mittelstand hinein landen in einer Rundumversorgungs-Existenz mit negativen Anreizen bezüglich Leistung und Vermögensaufbau. Erst ab einer (beim vergoldeten Sozialstaat Schweizer Prägung viel zu hohen) Grenze lohnt sich vernünftiges Haushalten. Aus dieser Sicht müsste die Freigrenze für den Vermögensverzehr erhöht werden. Eine Senkung könnte man allenfalls ins Auge fassen, wenn gleichzeitig der Markt für die Pflege liberalisiert würde. Da besteht aber heute ein Sozialkartell mit formell und informell festgeschriebenen Kosten (Löhne, Betreuungsverhältnisse, Infrastruktur) und Preisen (Heimtarife) – wie übrigens auch bei der Kinderbetreuung. Mehr Eigenverantwortung, mehr Freiheit, mehr Markt, aber auch mehr Ungleichheit im Alter wäre das Rezept.
Bei der Absicherung der Armutsrisiken im Alter gibt es immer einen Zielkonflikt zwischen Anreizen (die Sie gut beschreiben) und sozialem Ausgleich. Wo wir uns als Gesellschaft positionieren ist letztlich ein Werturteil. Wenn man Ihre Überlegungen ganz zu Ende denkt, bräuchte es gar keine Freigrenze, weil ohnehin jede(r) für sich selber sorgen muss.
Zu den Sparanreizen: neben dem Willen, seinen Nachkommen etwas zu hinterlassen, gibt es noch weitere wichtige Gründe zu sparen: Für medizinische Notfälle, Pflege im Alter und vieles mehr. Empirisch gesehen ist Erbschaft ein wichtiges Motiv, aber längst nicht das einzige. Meistens ist es eine Kombination von verschiedenen Faktoren. Natürlich löst eine tiefere Freigrenze einen gewissen negativen Sparanreiz aus. Aber Studien aus Australien zeigen, dass die Kosten von bedarfsorientierten Leistungen an Menschen mit Vermögen sehr viel teurer sind als die negativen Sparanreize. Und macht es wirklich Sinn, einem älteren Menschen mit 200’000 Franken EL auszuzahlen, um auf Kosten der Steuerzahler die Erben zu schonen? Das ist auch nicht Selbstverantwortung.
Zum Pflegemarkt: es wäre längst möglich, Pflegeversicherungen anzubieten. Nur sind die bisher regelmässig gescheitert – aus gutem Grunde. Jeder Fr. der aus der Pflegeversicherung kommt, reduziert die EL um bis zu einem Fr. Für die ärmeren ist die Pflegeversicherung zu teuer, für den Mittelstand lohnt sie sich nicht wegen der Anreize aus der EL, und die Reichen brauchen sie nicht.