Yvan Lengwiler
Die Unabhängigkeit der Schweizer Notenbank ist unbestritten. Weil wir so viel Macht an sie delegieren, sollte sie uns aber wesentlich besser informieren.
Es ist nicht möglich nachzuvollziehen, wie die SNB ihre Entscheidungen fällt.
Die Geldpolitik berührt jeden Bürger: Sie steuert die Rendite unserer Vorsorge und den Wechselkurs, sie beeinflusst den Gang der Wirtschaft, die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Entwicklung des Preisniveaus. Sie ist eine der wichtigsten Komponenten der Wirtschaftspolitik, und dennoch löst sie kaum öffentliche Diskussionen aus.
Die SNB, welche die Geldpolitik verantwortet, geniesst ausserordentlich grosse Unabhängigkeit von der Politik. Sie ist noch unabhängiger als das Bundesgericht, dessen Richter abgewählt werden können. Mitglieder des Direktoriums können nur bei Fehlverhalten abgewählt werden und unterstehen auch keiner Amtszeitbeschränkung.
Dieses einmalige Mass an Unabhängigkeit und Machtfülle muss in einem demokratischen Staat mit ebenso umfassender Rechenschaftspflicht und Transparenz und einer funktionierenden Aufsicht gepaart sein.
Die Aufsicht obliegt dem Bankrat, der allerdings interessanterweise einen wesentlichen Teil dieser Kompetenz an das erweiterte Direktorium der SNB zurückübertragen hat (Art 10.2 lit i Organisationsreglement SNB). Die Aufsicht umfasst nur die Beurteilung der Rechtmässigkeit des Handelns der SNB, nicht den Inhalt ihrer Entscheidungen. Das ist das Wesen der Unabhängigkeit.
Die Rechenschaftspflicht wird wahrgenommen, indem die SNB der Bundesversammlung jährlich einen Bericht übergibt, welcher aber explizit ausschliesslich «zur Information» dient. Der Öffentlichkeit gegenüber wird Rechenschaft in Form einer grossen Anzahl öffentlicher Reden wahrgenommen.
Kaum Debatten über die Geldpolitik
Interessanterweise findet in der Schweiz praktisch keine Debatte über die Geldpolitik statt. Das kann daran liegen, dass die Menschen zufrieden sind, oder es kann daran liegen, dass die Geldpolitik als sehr technisches Gebiet betrachtet wird, das Experten überlassen werden sollte. (Die Auswahl des Modelltyps von Militärflugzeugen ist allerdings auch etwas für Experten, und in diesem Bereich finden immer wieder öffentliche Debatten statt.)
Es könnte auch daran liegen, dass die Menschen nur vage verstehen, was die SNB wirklich tut, denn die Transparenz der SNB lässt zu wünschen übrig. Notenbanken waren früher alle sehr intransparent. Aber das hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Es gehört heute zum Mindeststandard, zumindest die Protokolle der Sitzungen der entscheidenden Gremien zu veröffentlichen. Die SNB tut das nicht.
Es ist nicht möglich nachzuvollziehen, wie die SNB ihre Entscheidungen fällt. Was waren die Entscheidungsgrundlagen für die Einführung der negativen Zinsen? Wie kam die Einführung der Wechselkursuntergrenze zustande? Weshalb wurde deren Aufhebung entschieden? Gab es im Direktorium Dissens? Nach welchen Regeln erfolgen Deviseninterventionen? Diese und weitere Fragen bleiben dem Publikum schleierhaft, obwohl es eigentlich Transparenz erwarten dürfte.
Nur drei Personen entscheiden
Das ist besonders problematisch, weil in der Schweiz die wichtige Geldpolitik von einem Gremium entschieden wird, das, anders als in anderen grossen Notenbanken, aus nur drei Personen besteht.
Einer der grössten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, Milton Friedman, hat vermerkt, dass eine unabhängige Notenbank zwar besser sei als eine politisch gesteuerte Notenbank, aber dennoch nicht unproblematisch: «Ein weiterer Mangel der Delegation der Geldpolitik an eine unabhängige Zentralbank, die über einen grossen Spielraum und viel Macht verfügt, ist das enorme Ausmass, in dem die Politik von einzelnen Persönlichkeiten abhängig gemacht wird.» (Milton Friedman, «Dollars and Deficits», 1968, S. 186.)
Die Unabhängigkeit der SNB von der Politik ist unbestritten. Aber die Öffentlichkeit sollte im Gegenzug über die Geldpolitik debattieren können. Die Voraussetzung dafür ist viel mehr Transparenz, als Gegenstück zur umfassenden Delegation von Macht an die SNB.
Artikel ist in der NZZ am Sonntag erschienen.
SNB und Klimapolitik
„Laut dem Ende April 2020 veröffentlichten jüngsten Bericht von Artisans de la Transition finanziert die SNB mit ihrem Aktienportfolio nach wie vor fast so viele Treibhausgasemissionen, wie die Schweiz pro Jahr im Inland ausstösst: 43 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Die SNB ist weltweit einer der grössten institutionellen Investoren. Laut dem Report hat sie ihre Investitionen in Erdölfirmen wie Exxon und Chevron in den letzten zwei Jahren zwar reduziert, gleichzeitig aber steigerte sie die Investments in Kohle (wenn auch in deutlich geringerem Mass). Artisans de la Transition sieht dahinter jedenfalls keinen Bewusstseinswandel für mehr Klimaschutz, und auch die Äusserungen der Nationalbank legen diese Interpretation nahe. Pointiert heisst es im Report der NGO: Statt als Leuchtturm zu agieren, «benimmt sich die SNB wie ein Wachmann, der im Bett liegt und schnarcht, während sich an der Küste ein verheerender Sturm zusammenbraut».
Wenn der Wachmann schläft, sollte ihm vielleicht die Politik auf die Sprünge helfen. So fordert SP-Natio¬nalrätin Jacqueline Badran in einer Motion, dass die SNB ihre Anlagepolitik auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens ausrichtet. Investitionen in Unternehmen, die gravierende Klimaschäden verursachen, würden dadurch ausgeschlossen. Der Druck der Zivilgesellschaft wird also weiterhin nötig sein.“ (Stefan Boss in Infosperber vom 17.08.2020)
Danke für diesen Artikel.
Die Notenbank ist eine von wenigen Institutionen, die in der Schweiz im Vergleich zu anderen föderalistischen Ländern wie den USA massiv weniger demokratisch ist. Dass das entscheidende Gremium aus gerade einmal drei Personen besteht, wusste ich nicht. Und es macht mir Angst.