Urs Birchler
Die Schweiz geht zu einer neuen Wirtschaftsform über. Weiss (freie Marktwirtschaft) oder schwarz (reine Staatswirtschaft) war zwar nie. Dem Bundesrat schwebt aber neuestens eine Schattierung von dunkelgrau vor, die mich schaudern lässt.
Am 1. April hat der Bundesrat (aufgrund eines Auftrags des Nationalrats) ein Dokument mit dem wohlklingenden Titel „Gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen“ vorgestellt. Grund gemäss Medienmitteilung: „Der Bund erwartet von den Wirtschaftsakteuren, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen.“ Dabei brauchen sie seine Hilfe.
Oder eigentlich: er braucht ihre Hilfe. Das bundesrätliche Osterei enthält unter dem Schokoladeüberzug aus Verantwortung für Umwelt, Gesellschaft und Menschenrechte eine langfristig giftige Wirtschaftsphilosophie: Die Unternehmen sind ein verlängerter Arm des Staates. Denn die ihnen aufzuerlegende soziale Verantwortung (Corporate Social Responsibility, CSR)
„umfasst ein breites Spektrum von Themen, die bei der Unternehmensführung neben den Eigentümerinteressen zu berücksichtigen sind. Dazu gehören die Arbeitsbedingungen (inkl. Gesundheitsschutz), Menschenrechte, Umwelt, Korruptionsprävention, fairer Wettbewerb, Verbraucherinteressen, Steuern, Transparenz und weitere Aspekte (Berücksichtigung der Bedürfnisse der lokalen Umgebung, Einbindung lokaler Kapazitäten, Wissenstransfer, Schutz der Rechte an geistigem Eigentum, usw.)“ (S. 5).
Kurz: Die Unternehmungen haben eine Reihe von Aufgaben zu erfüllen, zu denen dem Staat die Rechtsgrundlege, die Mittel oder der Wille fehlen.
Offenkundig ist es dem Bundesrat auf dieser schiefen Ebene selbst nicht ganz wohl:
- Zu bindenden CSR-Vorschriften an die Unternehmen fehlt dem Staat im Grunde die Kompetenz, deshalb „informiert“ er sie über seine „Erwartungen“, eine Formulierung mit der auch kriminelle Organisationen gerne den illegalen Tarif durchgeben.
- Das Argument, CSR liege im ureigenen Interesse der Unternehmen, hat viel für sich. Schon heute findet eine schweizerische Unternehmung kaum mehr fähige Mitarbeiter, wenn sie verantwortungslose Praktiken duldet; auch hat der Bundesrat recht, wenn er Reputationsrisiken erwähnt. Nur: Weshalb braucht es den Bund, um die Unternehmen an ihre eigensten Interessen zu erinnern?
- Die vom Bund gewünschten Bemühungen sind für die Unternehmen ein Kostenfaktor: „Die Umsetzung der CSR stellt Unternehmen, insbesondere KMU, im In- und Ausland vor verschiedene Herausforderungen.“ (S. 14)
Dennoch will der Bundesrat auf dem gewählten Weg entschieden weiterschreiten. Dabei malt er mit mehr als 50 Grautönen das Zusammenwirken von Staat und staatsdienender Privatwirtschaft. Es erwarten uns unter vielem anderem (der Aktionsplan umfasst 25 Seiten!): Öffentlich-private Partnerschaften, Runde Tische mit Anspruchsgruppen (auch bei KMUs!), ein „Kompass Nachhaltigkeit“, Schulungen, Austausch von Best Practices, Informations- und Sensibilisierungsaktivitäten, Unterstützung international anerkannter Institute, die Förderung von CSR-Themen in Ausbildungsgänge von Hochschulen (endlich eine Alternative zu Mathematik!). Aber es soll auch Geld fliessen, z.B. in als Beiträge zur Förderung nachhaltiger und entwicklungsfördernder privater Investitionen.
Da der Bundesrat von der neuen Wirtschaftform überzeugt ist, möchte er sie auch im Ausland propagieren: „Die Regierungen dieser Länder unterstützt der Bund bei der Schaffung und Umsetzung eines gesetzlichen Rahmens, der es ihnen erlaubt, den Privatsektor auf das Ziel der nachhaltigen Entwicklung auszurichten.“
Natürlich beruht alles auf entsprechenden Empfehlungen der OECD, einer EU-Richtlinie und einem Leitfaden ISO26000 (immerhin: keine Norm!). Und ebenso selbstverständlich benötigt eine Umsetzung der „Erwartungen“ des Bundes eine Zusammenarbeit vieler Beteiligter: Staatsbeamte, administrative Mitarbeiter in Unternehmen, Nicht-Regierungs-Organisationen (die dabei schleichend zu indirekten Regierungsorganisationen werden), Unternehmensberatern und PR-Agenturen. (Wer sagt als erster: „Arbeitsplätze“?)
Der langen Rede kurzer Sinn: Woher nimmt eine Regierung das Recht, Unternehmen für ihre Ziele einzuspannen, wenn sie selbst nicht einmal imstande ist, ihren hehren Umweltzielen mit einer CO2-Abgabe auf Benzin nachzuleben?
Wieso diese Aufregung? Es ist leider so, dass unter dem Wettbewerbsdruck Unternehmen nicht immer rücksichtsvoll und verantwortungsbewusst handeln, weil es eben mit Kosten verbunden ist. Dennoch solle das eigentliche eine Selbstverständlichkeit sein. Da im Parlament durch intensives Lobbying von Wirtschaftsseite her verpflichtende Regulierungen meist nicht durchzusetzen sind, oft entgegen den Interessen des Allgemeinwohls, versucht man es mit einem Appell, der niemandem wehtut. Dies mit „Planwirtschaft“ (=zentrale Planung der Güterherstellung und alles im Besitz der Allgemeinheit) zu vergleichen und zu diskreditieren ist doch sehr weit hergeholt. Das erinnert an niveaulose unsachliche Propaganda. Die Freiheit des Einzelnen hört da auf wo die Freiheit der Mitmenschen beschnitten wird. Daran zu erinnern, kann nicht schaden.
Fast einverstanden. Allerdings sollte man nicht unbedingt CSR-„Erwartungen“, so es denn Erwartungen sind, kritisieren. Wohl aber graut (oder schwarzt) einem vor der offenbar vorgesehenen Aufblähung der Bürokratie. Das Killerwort Bürokratie sollte ich sparsam einsetzen, aber wenn Ihre Aufzählung dereinst zutreffen sollte, kann man den dazu erforderlichen Apparat kaum anders nennen. Die Betonung dieses Aspekts ist aus dem Text IMHO zuwenig deutlich.
In diesem Sinne trifft IMHO aber weit weniger der Kommentar von @Marc ins Schwarze (oder ins Weisse, wenn man so will).
„there is one and only one social responsibility of business–to use it resources and engage in activities designed to increase its profits so long as it stays within the rules of the game, which is to say, engages in open and free competition without deception or fraud.“ Milton Friedman hat 1970 alles Notwendige zum Thema gesagt. Hier nachzulesen: http://www.colorado.edu/studentgroups/libertarians/issues/friedman-soc-resp-business.html .
Ich stimme Urs Birchler völlig zu. Das Ganze ist nicht nur eine Verschwendung von Steuergeldern, sondern ein Einsatz von Steuergeldern, der uns viel kosten wird.
Die CSR-Religion ist heute das für die Politik das, was in den 70er Jahren die großen Sektenbewegungen für die Heranwachsenden war. Mit normalen Argumenten – gewinnmaximierende Unternehmen organisieren den Wirtschaftsprozess gemäß der Nachfrage der Konsumenten und produzieren dabei einen Mehrwert, der sich auf die gesamte Gesellschaft verteilt – kommt man dagegen nicht an. Was ist schon so ein wissenschaftsorientierter, kritisch denkender Ökonom, gegen einen mit CSR-Sanyasin der mit leuchtenden Augen seine auswendig gelernten rhetorischen Versatzstücke zum Besten gibt? Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um es langsam gruselig zu finden, was sich da abspielt.