Monika Bütler
Die Schweiz soll nicht wie Hong Kong oder Singapur werden. Ein griffiger und einleuchtender Slogan der Ecopop Befürworter. Nur leider falsch.
Natürlich möchten die meisten von uns (mich eingeschlossen) lieber in der Schweiz als in Hong Kong leben. Nur ist der Vergleich der beiden asiatischen Städte mit der Schweiz unfair und berücksichtigt weder die Geschichte noch das wirtschaftliche, geopolitische und klimatische Umfeld der unterschiedlichen Gegenden. Das richtige Gegenstück im Vergleich mit Hong Kong oder Singapur wäre Hong Kong/Singapur ohne „Dichtestress“. Ein einfacher Blick über die Grenzen der beiden Städte zeigt: Die Wahl ist eben nicht zwischen 15 Quadratmetern/Person im Dichtestress und plus minus gleichem Lebensstandard auf 45 Quadratmetern/Person ohne Dichte. Sondern
- zwischen 15 Quadratmetern/Person in guten hygienischen und relativ umweltfreundlichen Verhältnissen, mit Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Arbeitsstellen und guten Schulen, welche den Kindern die Tür zur Welt offen halten.
- und 15 Quadratmetern/Person in prekären Behausungen ohne ÖV, ohne adäquate Arbeitsplätze mit beschränkter medizinischer Versorgung und qualitativ schlechten Schulen. Und ja: mit Dreck und Umweltbelastungen.
Kein Bewohner Singapurs würde mit einem Bewohner ännet der Johor Strait tauschen wollen. Umgekehrt hingegen schon.
Da ich Singapur viel besser kenne, hier etwas Hintergrund zu Singapur. Nach der Unabhängigkeit Singapurs von Grossbritannien schloss sich die Stadt nach dem 1962 Merger Referendum der Federation of Malaya an (im Wesentlichen Malaysia, Sarawak und Nord Borneo). Die Gründe: Grösse des Landes, Knappheit an Wasser, Land und natürlichen Ressourcen. Die zwei Jahre in Union mit Malaysia waren allerdings geprägt von Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten. So wollte Singapur eine Gleichbehandlung aller Rassen, Sprachen und Religionen, was vom Rest der Federation abgelehnt wurde. 1965 wurde Singapur aus der Federation geworfen, ohne in der Frage überhaupt angehört zu werden.
Interessanterweise wurde Singapur ein Stadtstaat contre coeur. Das heutige Singapur ist somit eine Antwort auf die Herausforderungen, welche dem neuen Staat mit dem knappen Land und der Abwesenheit von natürlichen Ressourcen erwuchsen. Wie auch die Schweiz setzte Singapur in der Folge auf eine wirtschaftliche Entwicklung, die auf Unternehmertum, technologischem Fortschritt und Ausbildung basierte. Und auf eine gewisse Einwanderung, welche den Fortschritt erst ermöglichte. Singapur hat heute eine durchaus restriktive Einwanderungspolitik; diese berücksichtigt jedoch die Bedürfnisse der Bevölkerung insbesondere nach Arbeitskräften, die im Lande selber fehlen. Mit einer Abschottung wäre der Vorsprung Singapurs gegenüber seinen Nachbarn schnell weg. Immigration ist eben nicht nur Folge der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch teilweise deren Ursache.
So unterschiedlich Hong Kong oder Singapur und die Schweiz auch sein mögen. Auch bei uns muss der breite Wohlstand in den ländlichen Gegenden zuerst erwirtschaftet werden. In den viel dichter bevölkerten Städten nämlich oder den nicht so idyllischen Industriezonen. Die Umsetzung eines weiteren Slogans der Ecopop Befürworter – die Arbeitsplätze zu den Bewohnern bringen und nicht umgekehrt – würde nie und nimmer die Wertschöpfung bringen, die nötig wäre, um unseren Lebensstandard zu halten.
PS: Die momentane Popularität von Ecopop hat allerdings nicht viel mit deren Argumenten zu tun als viel mehr dem Schweigen und der Untätigkeit der Politik in den Diskussionen um die Folgen Personenfreizügigkeit (siehe meinen früheren Beitrag). Niemand erklärte den besorgten Bürgern, woher die (nicht so zahlreichen) Ausländer kommen, die wirklich Probleme machen (nämlich mehrheitlich nicht aus der EU). Auf griffige – auch während der Personenfreizügigkeit mögliche – Massnahmen gegen eine Einwanderung in den Sozialstaat (Rückführungen, Einschränkungen des Familiennachzuges, Straffung des Asylwesens) wurde verzichtet. Und wir warten bis heute auf eine vernünftige Einwanderungspolitik für Bürger aus Drittstaaten. Statt den Zug sanft zu bremsen, schielte die Politik viel zu lange auf die Notbremse (in Form der Ventilklausel). Die Notbremse zogen am 9. Februar andere. Im Tunnel.
guten Tag
1. Könnten Sie ausführen wie sie die Leute effektiv dazu bringen nur noch 15m2 – von heute 55m2 mit steigender Tendenz – Wohnfläche zu beanspruchen.
2. „Kapital wandert zur Arbeit“, das wurde sehr wohl erfolgreich praktiziert. In Deutschland, der Schweiz usw. Leider ist da die EU bzw. die Mitgliedsstaaten nicht erfolgreich. Wir haben hohe Kosten der Enge und Kosten der Entleerung. Das wurde mal an den Hochschulen gelehrt.
@Meier
1) Wohnen ist offenbar noch immer billig. Wohnfläche sinkt aus zwei Gründen: a) Hohe Preise (siehe Tokyo), b) Verarmung
2) Kapital wandert zur Arbeit, in der Tat. Allerdings nur, solange sich dies lohnt, weil die Arbeit entweder sehr produktiv und effizient (vor allem in den dichtbebauten Städten) oder aber sehr billig ist (nicht in der Schweiz). Der Wunsch von Ecopop, dass Kapital vermehrt zur Arbeit wandern möge, dürfte sich nach einer Annahme der Initiative schnell, aber nicht im Sinne der Initianten erfüllen: Durch eine Kapitalabwanderung ins Ausland.
zu 1. Es sollten mehr kleine und billige Wohnungen entstehen, damit die viel geschmähten Singlehaushalte nicht so viel Wohnraum verbrauchen müssen. In einer Beilage zur NZZ am Sonntag war kürzlich zu lesen, dass Bauherren in der Stadt Zürich Anreize dafür erhalten, „Familienwohnungen“ mit 3 oder mehr Zimmern zu bauen. Familienförderung klingt ja schön und alle Parteien wollen sich mit diesem Etikett schmücken. Singles werden hingegen immer noch als eine Art biographischer Betriebsunfall abgetan. Auch deshalb werden 1- und 2- Zimmerwohnungen immer seltener. Was soll ich da tun, wenn ich als Single nicht unnötig viel Fläche beanspruchen, aber auch nicht in einer WG leben will? Zudem sollte es für Eltern einfacher und attraktiver gemacht werden, (wieder) in eine kleinere Wohnung zu ziehen, wenn die Kinder ausgeflogen sind. Zu viele bleiben heute auch in der „Nachfamilienphase“ in einer Wohnung, die dann eigentlich überdimensioniert ist.
2. Oft ist es auch die Arbeit, die weg vom Kapital will. Das „Häuschen im Grünen“, das sich viele heute noch wünschen, soll ja idyllisch gelegen sein und weit weg von Bürohäusern und Industrieanlagen – damit nimmt man aber auch in Kauf, dass der Arbeitsplatz eher nicht in der Nähe liegt. Ein Gegenmittel wäre z.B. die Abschaffung der Steuerabzüge fürs Pendeln. Denn Pendeln ist schlecht für die Umwelt und auch für die Lebensqualität, weshalb also noch steuerlich fördern?
Und warum müssen immer die asiatischen Mega-Städte als Vergleichs- bzw. Horrorszenario herhalten? Ein viel naheliegenderes Beispiel wäre doch Berlin: 3,5 Mio. Einwohner auf etwas mehr als der halben Kantonsfläche von Zürich – und kein Dichtestress, sondern viel Grün (inkl. ausgedehnte Grünflächen) und drumherum weitgehend unverbautes, geradezu leeres Land. Und eine Lebensqualität, für die viele v.a. junge Schweizer die Spreemetropole lieben.
Verdichtung ist gut, um den Kulturlandverbrauch, die Energie- und Pendlerkosten pro Kopf zu senken. Aber alle übrigen Umweltprobleme, welche mit einer hohen Bevölkerungszahl zusammenhängen, lassen sich dadurch nicht vermeiden. Mehr Menschen steigern den Ressourcenverbrauch (Wasser, Energie, Baumaterialien) und erfordern den gleichzeitigen Ausbau von bereits stark ausgelasteten Verkehrs- und übrigen Infrastrukturanlagen. Damit kommen die öffentlichen Haushalte unter Druck.
Mehr Zuwanderer = mehr verdichtetes Wohnen = weniger Chancen für undichtes Wohnen auf dem Land wegen Kulturlandschutz. Kein Dichtestress? Warum ziehen denn so viele Zürcher jährlich in die ländlichen Regionen des Kantons Aargau?
Ich behaupte, dass viele Unternehmen, die heute ihren Standort in der Nähe von Grossstadtzentren oder Flughäfen haben, nicht unbedingt auf diese bevorzugten Lagen angewiesen wären. Zu den hohen Landkosten an diesen Lagen kommen noch die hohen Pendlerkosten. Diese verlagern sie unbezahlt auf ihre Arbeitnehmenden. Eine Standortverlagerung in die Regionalzentren an der Peripherie der Grossagglomerationen könnte für die Pendler und das Verkehrssystem eine grosse Entlastung bringen.
Mir ist nicht klar, wieso es einer Parlamentsmehrheit beim Bund seit Jahren nicht gelingt, die von Ihnen vorgeschlagene Einwanderungspolitik für BürgerInnen von Drittstaaten durchzusetzen.
Seit 50 Jahren weiss man, dass die Schweiz aus verschiedensten Gründen immer wieder von Zuwanderungswellen überschwemmt wird. Knapp die Hälfte der Stimmbürgerschaft ist gegen dieses ungehemmte Bevölkerungswachstum. Immer wieder werden Restriktionen in Aussicht gestellt, aber nichts Wirksames geschieht. Das BIP steigt zwar absolut, aber die Lebensqualität der Unter- und Mittelschicht sinkt. Ich ergreife jede Gelegenheit, in dieser Sache einen Pflock einzuschlagen. Nächste Gelegenheit: JA zur ECOPOP-Initiative!