Urs Birchler
Seit Jahren wechseln sich Presseberichte über „Grüselbeizen“ (z.B. hier im Blick) ab mit Forderungen, die Resultat der Lebensmittelkontrolle zu veröffentlichen (z.B. in den Leser-Kommentaren zum erwähnten Blick-Artikel). Offenbar gibt es Gründe, die Gäste, die Wirte und die Kontrolleure vor Transparenz zu schützen. Jedenfalls in der Schweiz. In unseren England-Ferien trafen wir am Eingang der Restaurants gerne die Food Hygiene Ratings der Food Standards Agency. Dort, wo das Rating nicht aushängt, darf es der Gast verlangen, aber darauf hat er meist bereits keinen Appetit mehr.
„Kann man nicht auch einmal Pech haben und dann klebt das schlechte Rating, bis die Kontrolleure wiederkommen?“ fragte ich einen Wirt. Dieser lakonisch: „Drum lässt man’s eben gar nicht so weit kommen.“
Warum funktioniert Transparenz — so macht es mindestens den Anschein — in England, aber nicht in der Schweiz? Für sachdienliche Hinweise sind wir dankbar.
Ich bin weissgott kein Experte, doch hatte ich als ehemaliger Fourier das Vergnügen, mit Fachleuten aus der Gastronomie zusammenzuarbeiten. Einige deren Argumente kann ich hier gerne aufführen.
Das Hauptproblem liegt der technokratischen Ausgestaltung des Lebensmittelrechts. Die entsprechenden Verordnungen sind dermassen scharf formuliert, dass es nur eine Minderheit der Betriebe schafft, überhaupt ohne Beanstandungen zu bleiben (z.b. 28% im Jahre 2011 im Kanton BE). Zudem werden jene Betriebe bestraft, die effektiv kochen und nicht einfach sterile Lebensmittel in der Mikrowelle aufwärmen.
Also welche Transparenz ist für den Kunden gewonnen, wenn MacDonalds zwar locker eine fünf erreicht, aber der ambitionierte Koch von nebenan, der auch mal ohne Handschuhe eine raffinierte Suppe kreiert eine drei kassiert? Und was heisst die drei für mich als Konsument? Muss ich nun mit Bauchweh rechnen oder gar mit Schlimmerem? Eine eindimensionale Ordinalskala schafft hier keine Transparenz, sondern führt zu Pseudovergleichen. Als Konsument ist mir mit der bisherigen Praxis, bei welcher effektiv problematische Fälle augenblicklich geschlossen werden, vermutlich besser gedient.
Auch in Dänemark sind die Resultate der Lebensmittelkontrollen seit einigen Jahren öffentlich und es konnte dadurch eine deutliche Verbesserung erreicht werden.
Sollten die schweizerischen Tests unsachgemäss oder schikanös sein, müsste man dies sowieso längst ändern.
Das ist seh schweizerisch. Auch in den Unternehmen. Wer will sich von anderen beurteilen lassen, wenn man selbst der Experte ist?
Wie John Adair treffend bemerkte:
„Your critics, whatever their motives or manners, are doing you the service of true friends. Sift trough their comments for the gold-dust of truth“
Und grad beim letzteren tut sich der stolze Schweizer gar schüüli schwer.
Mit http://www.tripadvisor.com und https://de.foursquare.com sollte dieses Problem erledigt sein.
Eine diesbezügliche „Transparenz“ basierend auf der aktuellen Lebensmittelkontrolle – dem Verbraucherschutz unterstellt – bringt dort Verlierer wo der wahre Gourmet gerne einkehrt oder einkehren sollte. Wie schon von Vorschreibern erwähnt verliert dabei vorallem der ambitionierte Koch im Kleinstbetrieb, der sich erlaubt mit ausschliesslich naturbelassenen Lebensmitteln zur arbeiten, während der grosse Systemgastrobetrieb mit konfektionierten Convenience Produkten (E’2 und pasteurisiert etc.) gewinnt. Solange die Lebensmittelkontrollen dermassen technologisch ablaufen gibts keine Transparenz.