Urs Birchler
Bei griechischen Apotheken gibt es für Kassenpatienten keine Medikamente mehr (NZZ von heute, S. 21). Die Kassen sind staatlich, und dem Staat fehlt es an Geld. In solchen Fällen erreicht die Krise eine neue Qualität: Menschliche Grundbedürfnisse (elementare medizinische Versorgung) können nicht mehr garantiert werden. Der griechische Staat verletzt damit die Menschenrechte.
Die menschenrechtliche Dimension der Krise haben Helen Keller und mich veranlasst einen (bereits vergangene Woche erschienenen) Artikel in Die Zeit zu schreiben. Was mir wichtig war (und dem „Sparprogramm“ der Redaktion teilweise zum Opfer fiel): Im Konkurs einer Privatperson oder einer Unternehmung gibt es eine Rangfolge des Verzichts: zuerst werden die vorrangigen Guthaben (z.B. Alimenten; Publikumseinlagen bei Banken) ausbezahlt, erst nachher werden die weiteren Ansprüche soweit möglich befriedigt. Im Staatskonkurs fehlt ein Konkursrecht und damit eine Prioritätenliste. Der Stärkste kommt zuerst — auf der Strecke bleiben die theoretisch privilegierten Ansprüche, im Staat: Die Menschenrechte. Ein bisher kaum diskutiertes Problem der von EU und IMF geforderten Sparprogramme sind deshalb die fehlenden menschenrechtlichen Auflagen. Der Europäische Menschnrechtsgerichtshof wird hingegen noch ein Wort mitreden — wenn nicht vorher alles in Flammen aufgeht.