Lämpä wägem Schwiizertüütsch im Chindergarte

Die Zürcher und Basler Stimmbürger wollen der Mundart im Kindergarten wieder mehr Platz einräumen. Andere Kantone werden wohl folgen. Doch eigentlich ziehlt die Diskussion am wirklichen Problem vorbei. Die Ausbildung für den Lehrerberuf wird immer stärker akademisiert. Gleichzeitig wird den Lehrerinnen und Lehrer wird immer mehr vorgeschrieben, was sie zu tun haben. Und niemand evaluiert, ob diese Vorschriften auch wirklich den erhofften Erfolg bringen. Lesen Sie dazu meine Kolumne in der NZZ am Sonntag „Weshalb wir die Mundartdebatte ernst nehmen sollten – Schulversuche ohne Evaluation frustrierter Lehrer und Eltern“:

„Hochdeutsch im Kindergarten?! Unsere Sprache ist doch Schweizerdeutsch!?“, so ereiferte sich meine seit Jahren in den USA lebende Schweizer Kollegin Anna bei einem Besuch in ihrer Heimat. Die Mehrheit der Stimmbürger in Basel und Zürich denkt offenbar genauso. Das Thema Sprache weckt Emotionen: Die „Zuhausegebliebenen“ erleben die Diskussion in Verbindung mit dem Thema Zuwanderung; „Ausgewanderte“ spüren den möglichen Verlust der sprachlichen Identität.

Viele meinen, dass Erfolg im Ausland nur haben kann, wer schon im zarten Kindesalter mit richtigem Deutsch und Englisch imprägniert wurde. So führen wir dann Vorschriften zur Verwendung der „Standardsprache“ (auf gut Deutsch: Hochdeutsch) im Kindergarten ein – um sie handkehrum wieder abzuschaffen. Haben wir den Kompass verloren?

 Es dünkt mich, dass die Mundartdebatte auch für ein allgemeineres Unbehagen gegenüber ständigen Schulreformen steht. Lehrer und Eltern müssen sich durch ein Dickicht aus immer neuen Vorschriften und sich teilweise widersprechender Empfehlungen kämpfen. So wird fremdsprachigen Eltern geraten, mit ihren Kindern die Muttersprache zu sprechen und namentlich gegenüber Kleinkindern den Grundsatz „eine Person – eine Sprache“ zu befolgen. Im Kindergarten gilt dies dann plötzlich nicht mehr. Es ist denn auch nicht verwunderlich, dass die am letzten Sonntag angenommenen Initiativen von Kindergartenlehrpersonen lanciert oder mindestens von vielen aktiv unterstützt wurden.

Als Wissenschaftlerin erstaunt mich, dass viele Schulreformen kaum evaluiert werden. Die am meisten zitierte Studie zur Wirkung der Standardsprache im Kindergarten bietet zwar Interessantes zum Spracherwerb der Kinder. Dass die Strategie Standardsprache für die weiteren Schulerfolge überlegen ist, kann sie jedoch nicht zeigen. Dies ist kaum verwunderlich: Im ausgewerteten Versuch waren 16 Kinder beteiligt, je 8 in Kontroll- und Versuchsgruppe, und zwar aus Kindergärten mit rund 90% Ausländern!

 In bezug auf Schweizer Kinder ist meine eigene, ebenso unrepräsentative Versuchsreihe genauso aussagekräftig. Der eine Sohn verstand am ersten Schultag (mangels Fernseher und eben aus Australien zurückkommend) kaum ein Wort Hochdeutsch; der andere hatte zwei Jahre Kindergarten ohne Mundart hinter sich. Nach einem Jahr sprachen beide so gut Hochdeutsch, dass sie die Standardsprache ihrer Eltern überaus peinlich fanden. Ähnliches zeigt eine Studie (ebenfalls mit nur wenigen Kindern): Die in der Standardsprache Erprobten sprachen zwar beim Schuleintritt etwas besser Hochdeutsch als die anderen. (Man hätte dies auch bei Mandarin oder Suahili gefunden.) Nach zwei Jahren waren die Unterschiede wieder verschwunden. Die Empfehlung Frühhochdeutsch jedoch blieb. Was mit den Mundartkenntnissen war, interessierte niemanden.

 Das Beispiel Mundart im Kindergarten ist leider typisch. Die wenigsten Reformen im Schulbereich basieren auf aussagekräftigen Evaluationsstudien. Dabei müsste doch eigentlich die Akademisierung der Lehrerausbildung zu einer Verstärkung der wissenschaftlichen Begleitung von Reformen führen. Stattdessen haben wir: Mehr Bürokratie in den Schulen.

 Die Diskussion um Mundart im Kindergarten hätte es ohnehin nicht geben dürfen. Jeder gut ausgebildete Kindergartenlehrer weiss selber, wann welche Form der Sprache passender ist. Es ist auch Unsinn, eine in Zürich arbeitende Berlinerin in Züritüütsch unterrichten zu lassen. Immer besser ausgebildeten Lehrpersonen werden in allen Belangen zunehmend von wissenschaftlich umstrittenen Vorschriften gegängelt. Und verlieren so den Spass und letztlich auch den Erfolg im Unterricht.

 Anna wird sich über das Resultat der Abstimmung freuen. Noch mehr freuen würde uns eine Schulbürokratie, die wenigstens die wissenschaftlich gesicherten Rezepte umsetzt. Zum Beispiel: genügend Autonomie für die Lehrer und kleine Klassen.

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