Die neuen Pisa Resultate sind da. Und mit ihnen neben dem ewigen Messen mit Deutschland viele abenteuerliche Interpretationen. So wird das gute Abschneiden der Schweiz mit dem individualisierten Unterricht erklärt, während gleichzeitig den Siegerländern aus Asien unmenschliches und unkreatives Pauken unterstellt wird. Man liest, dass die Frühförderung der Kinder die Pisa-Leistungen verbessern würde. Oder gar, dass die Buben deshalb weniger lesen als die Mädchen, weil gute Bubenbücher fehlten. Dies alles könnte zutreffen, muss aber nicht. Sicher ist nur, dass sich all diese Schlüsse nicht aus den Pisa-Daten ableiten lassen.
Wirklich aussagekräftig und für die Schulpolitik relevant sind die Resultate der Pisa-Studie über die Zeit betrachtet in einem bestimmten Land. So hat sich der Anteil der 15-jährigen in der Schweiz, die einen einfachen Text nicht verstehen, klar reduziert (aber ist mit 16% noch immer unglaublich hoch ). Woher kommt diese Verbesserung? Haben die Lehrer mehr Wert auf Lesen gelegt, oder hat sich an den Methoden etwas geändert? Die Schweiz integriert zudem die Ausländer gut; zwischen der zweiten Generation der Einwanderer und den Einheimischen sind keine Unterschiede mehr auszumachen.
Ein Blick über die Grenzen liefert dennoch wichtige Erkenntnisse. Zum Beispiel, dass viele Wege zu guten Pisa Resultaten führen. Unter den Spitzennationen findet sich neben asiatischen und nordischen Staaten auch Australien. Das von der Presse kaum erwähnte Land hat einen relativ hohen Anteil Migranten und dürfte von den Pisa-Spitzenreitern bezüglich Einkommen und Bevölkerungsstruktur der Schweiz am nächsten kommen. Australien gehört im Lesen und den Naturwissenschaften zur Spitze (erfolgreicher als die Schweiz). Dies trotz knapper Mittel und einer relativ späten Einschulung der Kinder mit nur einem Kindergartenjahr.
Ein Wort noch zum europäischen Sieger Finnland: Eine interessante – plausible und gleichzeitig abenteuerliche – Interpretation der hohen Lesekompetenz der Nordländer ist, dass George Clooney und Amanda Seyfried weder im Fernsehen noch im Kino finnisch sprechen, sondern in Untertiteln gelesen werden müssen. Das wäre dann doch sehr erfreulich, wenn als Folge der Pisa Resultate wenigstens die unsägliche Synchronisierung der Spielfilme abgeschafft würde.
Wir sollten uns auch Fragen, warum Schüler in Asien denn „unmenschlich pauken“ (wie nicht wenige auch an der HSG das tun…), während die meisten Schüler bei uns „Null Bock“ haben.
Zu erst sollten wir aufhören, zu sagen, unsere Kinder seien glücklicher, weil sie weniger Schule haben: wer offensichtlich weniger motiviert ist, ist auch weniger glücklich.
Aber warum lernen die Kinder in Asien denn lieber?
Der Grund liegt, wie ich während meines Aufenthalts in China bemerkt habe, hauptsächlich in der Lernkultur:
Bei uns herrschen teilweise fast kriegsähnliche Zustände in Schulen vor, Lehrer und Schüler sind Gegner, die Schüler muss man „erziehen“ und „kontrollieren“ und die Lehrer „bekämpfen“ und „verarschen“. In China ist das jedoch (generell, nicht überall) anders: Schüler und Lehrer sahen sich als Team, man arbeitet zusammen, nicht gegeneinander.
Woran liegt das?
Meines Erachtens ist der Grund hierfür durchaus ökonomischer Natur: Während bei uns Lehrer nach Zeit bezahlt werden und den Anreiz haben, möglichst einfach durch den Tag zu kommen, werden Lehrer in China per Bonus auch gemäss der Leistung ihrer Schüler bezahlt. Die Probleme der Schüler sind also gleich auch die Probleme der Lehrer. Wenn der Lehrer dort die Schüler langweilt und sie nervt, verlieren sie den Spass an der Schule, schwänzen und lernen nichts mehr – und der Lehrer verliert nicht nur sein Gesicht, sondern auch seinen Bonus.