„Chabis!“, riefen die Bauern vor Jahren, als die Statistiker beim Gemüse eine hartnäckige Teuerung errechneten. Sie hatten Recht. Wenn eine Gurke im Sommer einen Franken, im Winter zwei, im folgenden Sommer wieder einen Franken kostet, hat sich im Endeffekt nichts geändert. Die im Durchschnitt von Sommer und Winter gemessene Teuerung beträgt gleichwohl 25 Prozent! Im Winter plus 100%, im Sommer minus 50% – gibt im Schnitt 50% durch 2.
Was die Bauern nicht gefressen haben, wird uns fast täglich von neuem aufgetischt: Statistische Basis-Tricks. Der Magier lenkt unseren Blick auf den Zähler, um davon abzulenken, dass im Nenner etwas faul ist. Beispiel: Der Reingewinn der Migros „brach um über 20 Prozent ein“. Dass die arme Migros 2011 immer noch 650 Millionen verdiente und damit den Rekordgewinn vom Vorjahr zu mehr als drei Vierteln erreichte, bleibt dem Leser verborgen. Der Trick gelingt hier gleich in doppelter Ausführung: Der Gewinn als Bezugsgrösse (im Nenner) ist selbst schon eine Differenz. Das Resultat (der Gewinnrückgang im Zähler) scheint damit gross und ist im Jahr nach einem Rekordgewinn zwangsläufig eine negative Zahl.
Statistische Basistricks gehören zum Werkzeugkasten vieler Studien, insbesondere solcher mit politischen Zielen. Genauso wie Zuspitzungen, Ausblendungen und schräge (internationale) Quervergleiche. Die mitgelieferte Brille bestimmt mit, welche Aussagen wie wahrgenommen werden.
Auch die kürzlich erschienene Studie von economiesuisse wandte Basistricks an. Damit sollte eine massive steuerliche Entlastung niedrigerer Einkommen in den letzten 20 Jahren belegt werden. Die gewählte Prozent-von-Prozent-Brille vergrössert Veränderungen bei kleinen Einkommen stark. Wird ein Abzug um 1000 Franken erhöht (z.Bsp. für Krankenversicherungen) so sinkt die prozentuale Steuerbelastung bei einem steuerbaren Einkommen von 30‘000 Franken um 8%, aber nur um 0.8% bei 200‘000 Franken. Profitieren am Ende doch die Kleinen von den Abzügen? In Frankenbeträgen sehen die Ersparnisse anders aus: 100 Franken für die Kleinen, 350 Franken für die Grossen.
Die politische Gegenseite ist allerdings auch nicht zimperlich. Für die Berechnung der schweizerischen Vermögensverteilung blieben die für den Mittelstand anteilsmässig gewichtigen Pensionskassenvermögen unberücksichtigt. Die so gemessene Vermögensverteilung der Schweiz ist damit ähnlich „ungleich“ wie in Namibia. Nicht in den Studien erwähnt wurde, dass dies auch für Schweden gilt. Sowohl in der Schweiz wie in Schweden sorgen ausgebaute Sozialversicherungen dafür, dass der Mittelstand auch ohne zusätzliche Vorsorge gut abgesichert ist.
Schade – die Diskussion um die richtige Wirtschafts- und Sozialpolitik ist wichtig. Leider ist das Echo auf objektivere Beiträge gering. Mein Kollege Marius Brülhart zeigte, dass sich die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommen und Vermögen in den Jahren vor der Finanzkrise in der Schweiz zwar leicht öffnete. Trotzdem sind die Verteilungen heute gleichmässiger als in den 1970er Jahren, die Veränderungen sind weit geringer als in anderen Ländern. Das zunehmende Wohlstandgefälle der Linken gehört also ins selbe Märchenland wie die grosse Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen von economiesuisse.
Dass verschiedene (Interessen-)Gruppen die Zuspitzung oder Ausblendung für ihre Zwecke verwenden, ist ja nichts Neues. Viele Täuschungsmanöver beruhen aber auf dem Basis-Trick und wären deshalb ebenso leicht zu erkennen, wie der Wolf an seiner schwarzen Pfote. Nur leider scheint es attraktiver, eine statistische Legende zu erfinden oder zu verbreiten als eine zu entlarven. So geistert das Bild der Schweiz als Drittweltland in bezug auf die Vermögensverteilung noch immer herum. Ist Skepsis zu langweilig? Oder liegt es daran, dass die meisten von uns keine Bauern mehr sind, die noch merken: Chabis!
Ich erlaube mir, einen Punkt aus dem Text herauszugreifen:
Inwiefern ist es sinnvoll Vermögen zu berücksichtigen, dass gar nicht liquid ist und angesichts der Entwicklungen im Bereich der zweiten Säule zunehmend fiktiven Charakter annimmt?
Die Aussage würde nicht grundsätzlich ändern, wenn Pensionskassenvermögen konservativ bewertet würden (beispielsweise durch einen grossen Abschreiber, welcher der Unterdeckung entspricht). Ökonomisch gesehen gehören PK Vermögen eindeutig zu den Vermögenswerten (auch wenn sie nicht liquide sind), weil sie die zukünftigen Konsummöglichkeiten der Individuen abbilden. Wer mit 65 seine PK Gelder bar bezieht, gilt in der Vermögensstatistik als vermögend. Wer mit dem gleichen Kapital die Rente wählt hingegen nicht. Im übrigen sind auch andere Vermögenspositionen nicht immer liquide.